Die Welt dreht sich – schnell, unaufhaltsam, ohne Pause. Schwups, und weg ist der vollkommene Moment. Mit einem Augenzwinkern ist die perfekte Gelegenheit verstrichen. Die Stunde vorbei – der Tag – die Woche – das Monat – das Jahr. Weg. “War da nicht noch etwas, das ich tun wollte?”, frage ich mich die ganze Zeit. Eine Weltreise, ein Besuch eines alten Freundes, ein klärendes Gespräch, ein gemeinsamer Ausflug mit der Familie, eine ausgelassene Feier?
Die Entscheidung „es zu tun“ ist schnell aufgeschoben. So lange bis der richtige Moment, der nie kommt, verpasst ist. Nun hat es sich längst auseinandergelebt. Man ist brav im Alltagstrott mitgelaufen und hat die vielbedachten Träume seit langer Zeit ganz nebenbei verworfen.
Leben im Moment
Danach kommt das schlechte Gewissen. „Wenn ich mir die Zeit genommen hätte, dann hätte ich …“ und jeder Gedankengang, der sich über die Vergangenheit ärgert, wird damit in der Zukunft verschwendet. Nur die Gegenwart ist der Moment, wo die verrücktesten Träume zu noch verrückteren Erinnerungen gemacht werden können.
„Lebe im Hier & Jetzt“, hat angeblich schon Buddha gesagt. Dabei geht es nicht darum die Vergangenheit auszublenden, die uns doch zu dem macht, was wir sind. Oder darum, nicht mehr an die Zukunft zu denken, die wir sehr wohl im Rahmen unserer Möglichkeiten vorbereiten und gestalten können. Es geht um das Bewusstsein und das bewusste Wahrnehmen von Augenblicken, Gelegenheiten und Momenten, die einem das Leben genießen lassen und in einem Zustand
versetzen, den ich als „glücklich“ bezeichnen würde.

Die Entdeckung der Langsamkeit
Nicht nur das Glücklichsein habe ich im bewussten Wahrnehmen entdeckt, sondern auch die Langsamkeit. Je langsamer bzw. bewusster ich mich fortbewege, desto besser. Das entschleunigte Erleben, und – bei mir vor allem – auch das Bewegen, lässt meine rasenden Gedanken zur Ruhe kommen. Macht meinen Körper und meine Wahrnehmung kongruent. Der Jakobsweg war dabei – so wie für viele andere – meine Einstiegsdroge in die Welt des Weitwanderns. Dabei weiß ich noch ganz genau, dass ich ging und ging und auf die „Erleuchtung“ wartete, die, wie so viele sagten, irgendwann eintritt. Die Erleuchtung mit der alle Unsicherheiten, Fragen, das Wie & Warum beantwortet sein würden. Und ich muss alle enttäuschen – ich wartete vergeblich. Weder am Weg noch danach kam die Erleuchtung. Aber am Ende – ganz zufällig – bei einem unerwarteten Gespräch traf mich eine Erkenntnis wie eine kräftige Watsche ins Gesicht. Es war die spirituelle und pragmatische, einfach Aussage eines Wanderkollegen: „Wer einen intensiv gegangenen Weg mit einem Flug abkürzt, dem kann es passieren, dass Körper und Seele nicht gemeinsam ankommen.“ Punkt. In der Situation, in der ich mich damals befand, war es ein
Gedankengang, der mir half, meine Einzelteile wieder einzusammeln, zusammenzufügen, mit Dingen abzuschließen und ab da neue Wege zu gehen.
Inzwischen lächle ich über meinen Gedanken der Erleuchtung und ich warte auch nicht mehr darauf. Ich wandere, weil ich die Ruhe in der Natur liebe und die meditative Fortbewegung, die mir hilft, meine Gedanken neu zu ordnen und ab und an Abstand zu nehmen. Für mich ist es eine Zeit, in der ich schlicht und ergreifend das Bei-mir-sein genieße.
Wer schnell reist, dem entgeht das Abenteuer
Langsam zu sein, hat auch den Vorteil, die Dinge um sich herum deutlicher wahrzunehmen. Die Wälder, Wiesen, Bäume und natürlich die Menschen, deren Kultur und Bräuche. Sofern es die Zeit zulässt, bevorzuge ich daher als Vielreisende langsame Fortbewegungsmittel. Das Rad, den Zug oder den Bus oder eine gelegentliche Mitfahrgelegenheit im Auto. Fliegen dient mir
(normalerweise) ausschließlich zur An- und Abreise. Rund 9.000 Kilometer legte ich daher bei meiner letzten langen Reise durch Asien fast ausschließlich mit dem Bus zurück. Doch das braucht Zeit – in meinem Fall waren es exakt 6,5 Monate. Ein Zeitraum, den sich nicht jede/r selbstverständlich freischaufeln kann.

Mein Wunsch, auf meiner Reise durch Asien so gut es geht auf Fliegen zu verzichten und mich so weit wie möglich am Landweg fortzubewegen, entsprang einem anderen Erlebnis, das ich in Südamerika – genau genommen – in La Paz in Bolivien hatte. Ich war in einem sehr westlichen Hostel untergekommen und ging am Abend – zu faul das Haus nochmal zu verlassen – in der hauseigenen Bar etwas essen. Die Musik spielte. Alkohol wurde literweise ausgeschenkt, die Atmosphäre war entspannt. Ich unterhielt mich mit meinen Tischnachbarn. „Ich hab schon fast ganz Südamerika besucht“, prahlte der Reisende neben mir. „Wow“, dachte ich. Ich fragte nach, wie lange er denn unterwegs sei. „Na, so zweieinhalb Wochen“, war die Antwort. „Heute bin ich in La Paz, morgen flieg ich nach Cusco, übermorgen bin ich beim Macchu Picchu, dann habe ich eine Nacht in Lima und dann geht’s noch weiter nach Ecuador und dann weiter zu den Galapagos Inseln.“ Ich stellte fest, dass der Reisende außer der Hauptsehenswürdigkeiten kaum etwas vom besuchten Land gesehen hatte. Die Kultur blieb völlig auf der Strecke. Noch dazu, er konnte gar keine Reiseanekdoten vom Land erzählen, sondern nur von seinen Ab- und Anreisen vom Flughafen, den sich durch die Touristenattraktionen schiebenden Menschenmassen und den westlichen Hostels, in denen er mit den ebenso kulturell gleichgeprägten Menschen ins Gespräch kam. Für mich reiste er nicht, er hakte eine Checkliste in Form von Sehenswürdigkeiten ab. Für das noch wartende Abenteuer um die Ecke nahm er sich keine Zeit.

„Die meisten Abenteuer warten – versteckt hinter der nächsten Ecke – geduldig darauf entdeckt zu werden. Wer keine Zeit hat, kurz um die Ecke zu biegen, wird das Abenteuer nie finden.“ (Zitat: Theresa Steinkellner)
Doch sind diese kleinen Abenteuer die besten und oftmals eindrucksvollsten Erinnerungen an eine Reise, die jedes tausend Jahre alte Bauwerk in den Schatten stellen. Es sind die Geschichten, die man auch noch nach Jahren gern erzählt, weil sie aufregend und einzigartig waren. Nicht “ich war einmal beim Macchu Picchu“ oder „ich habe eine Nacht in Lima verbracht“ ergibt eine spannende Geschichte, sondern “als ich 12 Stunden mit dem Nachtbus über einen Pass, auf dem es frisch geschneit hatte, fuhr und der Reifen platzte, …“ oder „als ich mich bei einem spontanen Straßenkonzert so wie die Menschen am Straßenrand setzte und mein Eis aß, …“.
Ich war zwei Monate unterwegs gewesen – ungefähr ein Monat hatte ich pro Land (Peru und Bolivien) eingeplant und ich fühlte mich bei weitem nicht als hätte ich alles gesehen, obwohl ich sehr zügig mit dem Bus unterwegs gewesen war. Als hätte ich genug erlebt oder würde nur annähernd das Land kennen.
Erst nach dem Gespräch mit dem Reisenden wurde mir klar, dass es nicht nur um bewusstes Reisen geht, sondern auch um langsames Reisen. Manchmal ist es eben besser, wenn sich die Welt ein wenig langsamer dreht – gefühlt zumindest.
Autorin: Theresa Steinkellner / www.travelwoman.at
Über die Autorin: Hallo, ich bin Theresa. “TO TRAVEL IS TO LIVE” ist meine Einstellung – zeitgleich auch ein Gefühl ganz tief in mir, das mir die Luft zum Atmen nimmt, wenn die Sehnsucht nach der Ferne und dem Unbekannten größer und größer wird.