Iran – Wie Tourismus ein Dorf aufblühen lässt

Auf der Suche nach mehr Nachhaltigkeit im Tourismus begeben wir uns in diesem Jahr auf eine virtuelle Reise um die Welt. Auf 5 Kontinenten werden wir Halt machen und euch ein lokales Projekt vorstellen.  

Nachdem wir uns bereits spannende nachhaltige Tourismusprojekte in Südamerika, Afrika und Europa anschauen konnten, begeben wir uns nun weiter nach Asien. Auf unserer vierten Etappe reisen wir gemeinsam in den Nahen Osten. Willkommen im Iran! 

Ein Land voller Widersprüche, einer reichen Geschichte, und einer unglaublichen Gastfreundschaft. Der Iran ist ein sicheres Land, abgesehen eventuell vom Verkehr in Teheran. Wir begeben uns aber abseits der Metropole, ca. 500 km südlich von Teheran, zu einem herzerwärmenden Projekt in der Provinz.

Unsere Themen

Iran, wo genau liegt das denn nochmal?

Wenn man an Asien denkt, kommt einem nicht sofort der Iran in den Sinn. Tatsächlich liegt der Iran in Vorderasien. Obwohl der Iran 4 mal so groß ist wie Deutschland, hat er nur halb so viele Einwohner*innen. Früher nannte man den Iran auch Persien oder das Persische Reich. Seit der islamischen Revolution bezeichnet sich der Staat als Islamische Republik. Trotzdem sagen die stolzen Einwohner*innen von sich gerne, dass sie Perser*innen sind. Es wird als Kompliment empfunden, sie auch so zu nennen. Wer hätte sich gedacht, dass man in dem Land am Persischen Golf auch Skifahren oder historische Städte erleben kann? Wir stellen ein Projekt vor, das zeigt, wie Tourismus ein Dorf, das am Rande einer Katastrophe steht, aufblühen lässt.

Von der Katastrophe zum Erfolgsprojekt oder Warum es Esfahk 2 Mal gibt

Vor 40 Jahren, genaugenommen im Jahr 1987, erschütterte ein verheerendes Erdbeben die Region rund um Tabas. 22000 Tote waren zu beklagen und viele Dörfer wurden dem Erdboden gleichgemacht. Auch Esfahk wurde vom Erdbeben erschüttert. Der heute 53-jährige Hamid Hosseini-Moghaddam, Bürgermeister von Esfahk, kann noch selbst von der Katastrophe berichten, die sein Dorf heimgesucht hat. Er war damals 11 Jahre alt und wurde im Erdbeben mehrere Stunden verschüttet. Für die junge Generation bot Esfahk keine Perspektiven mehr. Sie zog es über 3 Jahrzehnte lang in die Stadt, um dort zu studieren oder zu arbeiten. Heute ist die Situation dank einem ausgeklügelten Projekt eine andere. Das alte Zentrum von Esfahk ist wieder aufgebaut und definitiv einen Besuch wert.

Das alte Dorf (Foto: Matthias Schmidt / @irancloser)


Die junge Generation musste immer wieder bei Besuchen den Berichten ihrer Vorfahren lauschen, und „was für ein schönes Leben“ es doch im alten Esfahk gegeben habe. Berichte von einem der Wüste angepassten Leben, von den schönen Gassen, Gärten und Feldern und den ästhetischen Lehmbauten. Als die junge Generation den Entschluss gefasst hatte, die alte Stadt wieder neu aufzubauen, konnte sich die ältere Generation das anfänglich nicht unbedingt vorstellen. Der Schrecken von damals lag noch zu tief in den Knochen. Die Jungen wollten aber nicht nur die alte Stadt wieder aufblühen lassen, sondern verfolgten die Vision einer nachhaltigen und selbstbestimmten Entwicklung, die ihnen in diesem Abseits eine Perspektive und damit auch Arbeitsplätze bieten konnte. Ohne fremde Investoren und mit viel Freiraum. Der Grundstein einer Idee war geboren. Heute kann man das historische Esfahk besichtigen, in einem neu aufgebauten Lehmhaus wohnen und am Dorfleben teilhaben. Der wiedererstandene historische Kern befindet sich auch nur 200 m von dem Esfahk entfernt, das nach dem Beben mit Beton und Stein wieder aufgebaut wurde. Auch wenn heute im Dorf Sternführungen geboten werden, man in einem authentischen Hamam baden oder Ausflüge in den Geopark von Tapas machen kann, sind es die Begegnungen mit den Menschen, die Esfahk zu einem besonderen Erlebnis machen.

Das wichtigste touristische Angebot ist das Beisammensein mit den Einwohner*innen von Esfahk und das Teilen des dörflichen Lebens.

Die Gemeinschaft / Das Projekt
Jedes wiedererrichtete Haus trägt einen Namen und ist in Familienbesitz. Haus „Sabat“, das erste wiedererrichtete Wohngebäude in Esfahk, kennzeichnet eine für die iranische Wüste typische Architektur: Ein großer Iwan sowie Wohnräume gruppieren sich um einen offenen Innenhof. Ein Wasserbecken sorgt für etwas Frische. (Foto: Matthias Schmidt / @irancloser)

Vom Lehmhäuser- und Brücken-Bauen

Nachdem die Idee geboren wurde, das historische Zentrum von Esfahk neu aufzubauen, dauerte es bis zur Verwirklichung noch ein paar Jahre. Altes wird gerne beibehalten, während Neues nur nach gründlicher Abwägung übernommen wird. Die Entscheidungen werden gemeinsam getroffen. Bei den Sitzungen war oft die Hälfte der 800 Dorfbewohner*innen anwesend. Es durften z.B. ausschließlich die Einheimischen in den Wiederaufbau investieren. Aber auch diejenigen, die keine finanziellen Mittel hatten, aber dafür viel Know-how, konnten z.B. Webtechniken unterrichten oder Lehmziegel herstellen.

Die iranische Behörde für Tourismus und Kultur stiftete die Renovierung der ehemaligen Moschee in Lehmbauweise. Dieser erste Schritt hat den Weg für den Wiederaufbau des Dorfes geebnet. Andere finanzielle Mittel kamen aus Zuschüssen der Provinzbehörde und aus dem Dorfentwicklungsbudget, einiges wurde auch mit dem eigenen Geld der Familien und der Unterstützung von lokalen Handwerker*innen verwirklicht. Zum Wiederaufbau wurde die neueste Lehmbautechnologie angewendet. Die Netzkonstruktion und die Querstreben, die im Lehm versteckt sind, machen die Bauten erdbebensicher. Ehrenamtliche Expert*innen aus Teheran und Maschhad begleiteten den Wiederaufbau. Auf diese Weise enstand auf Basis von reziprokem Teamwork allmählich zuerst ein Restaurant, dann eines von heute sieben (bald acht) Gästehäusern, die sich alle in Familienbesitz befinden. Darüber hinaus eine Rezeption, ein Coffee-Shop, ein Handicraft- bzw. Workshop-Haus, ein traditioneller Hamam, eine kleine Sternwarte und folgerichtig auch das „Esfahk Lehmzentrum“ bzw. das „Esfahk Research Project of Soil Architecture“ mit Kurs- und Werkstatträumen für Architektur- und Design-Student*innen.

Nach dem Erdbeben und der Abwanderung der jungen Generation, war die besondere Identität des Dorfes gefährdet. Die Jungen wünschten sich einen modernen und westlich ausgerichteten Lebensstil. Am Land gab es keine Perspektive für sie. Über 90% der iranischen Bevölkerung lebt mittlerweile im Ballungsraum. Übernutzung der Böden, die internationalen Sanktionen sowie eine hohe Jugendarbeitslosenquote machen das Leben am Land zunehmend unattraktiv. Die Identität und der Stolz der jungen Generation wurde erst wieder mit dem Aufbau des Dorfes zurückgewonnen.

Es war auch die jüngere Generation, die den ersten Anstoß zur Umsetzung gab. 2015 wird der Architekt Faramaz Parsi zufällig auf einen Infostand am Straßenrand aufmerksam. Faramaz Parsi ist auf die Sanierung von Altbauten spezialisiert, Mohsen und seine Freunde betrieben den Infostand zur Vorbereitung auf die Neujahrsfeier.

Ich war verblüfft von der gut erhaltenen Bausubstanz, mehr noch aber vom Engagement der Leute, also gab ich Mohsen meine Telefonnummer und nach den Ferien erhielt ich seinen Anruf.

Faramaz Parsi

Seither begleitet er auch das Projekt mit Rat und Tat. Die Jungen hatten die Vision einer nachhaltigen und selbstbestimmten touristischen Entwicklung, die ihnen in diesem „Abseits“ eine Perspektive und damit auch Arbeitsplätze bieten konnte. Ohne fremde Investoren. Damit soll gesichert werden, dass der Ertrag auch im Dorf bleibt. Seite an Seite arbeiteten Jung und Alt miteinander. Es wird bald deutlich, wie eng die alten Lehmbauten und die überlieferte Lebensweise im alten Dorf zusammenhängen. Faramaz erinnert sich.

In Esfahk finden auch regelmäßig Weiterbildungen statt. (Foto: https://www.facebook.com/Esfahkvillage)

Die Jungen befragten ihre Eltern und Großeltern über die Funktionen der einzelnen Räume in den alten Häusern und die Leute fingen an, alte Bräuche und Spiele wiederzubeleben.

Faramaz Parsi

Durch die Brückenbildung zwischen dem „alten“ und dem „neuen“ Leben wurde auch wieder die eigene Kultur wertgeschätzt.

Eine weitere Brücke bildet sich zwischen der Kultur von Tourist*in und Gastgeber*in.

Einen typischen Tagesablauf haben wir nicht. Das Dorfleben in der Wüste ist flexibel und muss sich den Bedingungen der Wüste und der Saison anpassen. Dazu gehört es, die Schafe zum Grasen auszuführen, die Felder zu bestellen, Ernten einzuholen, den Haushalt zu führen oder die Mauerwerke der restaurierten Häuser zu pflegen und erhalten. Die Touristi*nnen können uns dabei begleiten und mit anpacken, wenn sie mögen – oder sie besuchen die Täler, Paradiesgärten und Burgen im Geopark Tabas.

Die Gemeinschaft / Das Projekt

Heute sind die Bewohner*innen sehr stolz darauf. Die Jungen, die nach dem Studium in der Großstadt wieder zurückgekehrt sind und gut Fremdsprachen beherrschen, helfen oft bei der Verständigung zwischen den Tourist*innen und den älteren Bewohner*innen.

Vermitteln wollen wir den Wert der Erfahrung, die das Überleben und Leben vieler Generationen in der Wüste möglich gemacht haben und das Wissen, wie man alte Lehmgebäude erdbebensicher und zeitgemäß bewohnbar macht.

Die Gemeinschaft / Das Projekt

Am Projekt haben sich auch Städteplaner*innen und namhafte Architekt*innen mitsamt ihren Student*innen ehrenamtlich beteiligt. In den jeweiligen Kuppeln der Häuser und in den seitlichen Tragwänden sind extrem belastbare Netzkonstruktionen eingebaut, unterstützt durch Querstreben. So halten die Gebäude einem Erdbeben zukünftig stand.  

Die überlieferte Lehmbauweise ist perfekt für das Wüstenklima geeignet. Lehm isoliert, atmet – und es müssen keine langen Wege zurückgelegt werden, um den Baustoff zu besorgen. Somit ist Lehm auch ein idealer ökologischer Baustoff. In den Räumlichkeiten selbst befinden sich moderne Sanitäranlagen. Besucher*innen haben die Wahl zwischen orientalischen oder westlichen Toiletten. Zur Ausstattung gehört auch ein Gemeinschaftsraum, überdacht oder im Freien, eine Küche und natürlich auch ein Bad mit Dusche. Die Gästehäuser mit bis zu drei oder fünf Zimmern sind rund um einen offenen Innenhof oder einen überdachten Kreuzgang angelegt.  

So verbindet selbst die Architektur des Lehmdorfes altes Wissen mit neuer Technologie.

Renovierungsarbeiten (Foto: Matthias Schmidt / @irancloser)

Was man von den Alten noch lernen kann

Esfahk ist ein kleines Oasendorf. Wenn man von Wüste und Salzsteppe umgeben ist, spielt der nachhaltige Umgang mit knappen Ressourcen seit jeher eine alles entscheidende Rolle. Daher werden auch wieder Qanats, kleine Bewässerungskanäle für die Felder und Gärten, gebaut. Es gilt das Suffizienzprinzip. Also nur so viel wie man tatsächlich braucht.

Im Dorf kommen nur selbst produzierte Lebensmittel auf den Tisch. Es gibt keine langen Transportwege, alle Lebensmittel werden selbst angebaut. Die Bäuer*innen und Schäfer*innen profitieren davon. Die Einnahmen bleiben bei den Bewohner*innen. Selbst Rohmaterial für den Wiederaufbau wie Holz, Lehm und Schlamm kommen von vor Ort.

Genau genommen verstehen wir uns nicht als Projekt, sondern als eine Gemeinschaft, die verstanden hat, dass unsere Vorfahr*innen über Generationen in und mit der Wüste gelebt haben, ohne den Schaden anzurichten, wie wir es heute tun – und wie es uns scheint, auch einen stärkeren Gemeinschaftssinn hatten. Vielleicht können wir also ein wenig von dieser Vergangenheit Revue passieren lassen, um daraus zu lernen.

Die Gemeinschaft / Das Projekt

Das Projekt bringt jährlich ca. 3500 Tourist*innen ins Dorf, die in den 7 restaurierten Lehmhäusern nächtigen können. Der Tourismus stärkt auf vielfältige Weise das Dorf. Auch die Bäcker*innen, die Bäuer*innen oder der lokale Supermarkt profitieren vom Tourismus.

Die Einnahmen werden nach einem fairen Schlüssel unter den Beteiligten aufgeteilt. Die wichtigste Stärkung der Bevölkerung liegt aber vielleicht in der Schaffung neuer sozialer Verbindungen und eines Gemeinschaftssinns. Verbindungen können geteilte Erfahrungen schaffen und die Freude am gemeinsamen Lernen fördern. Dies ist sicher die nachhaltigste Form der Stärkung unserer Bevölkerung. 

Die Gemeinschaft / Das Projekt

Und tatsächlich geht es auch nicht in erster Linie um die Einnahmen aus dem Tourismus. Esfahk lebt weiterhin hauptsächlich von den Einnahmen aus der Landwirtschaft. Auch als die Reisebeschränkungen bezüglich Corona von der Regierung wieder aufgehoben waren, sah sich Esfahk nicht unter Druck, schnell wieder zu öffnen. Die Dorfbewohner*innen kümmern sich um die ökologischen Grenzen des Projekts. Das Projekt basiert auf Teamarbeit. Das Allgemeinwohl steht über dem Interesse der Einzelnen.

Entscheidungen werden gemeinschaftsorientiert getroffen. Hamid (rechts im Bild) und weitere Dorfbewohner*innen während einer Teamsitzung. (Foto: Matthias Schmidt / @irancloser)

Frauen im Iran und im Dorf 

Die Stellung der Frau im Iran ist besser, als man es allgemein vermutet. In der Öffentlichkeit wird von der Frau erwartet, dass Sie sich konservativ kleidet und die Haare bedeckt. Obwohl diese Kleidervorschrift vor einigen Jahren noch recht streng in der Öffentlichkeit gehandhabt wurde und das öffentliche Bild von einem Meer von Tschadors geprägt war, sieht man heute schon eine recht lockere Form dieser Verhüllung. Frauen und Mädchen tragen heute auch buntere und modische Kleidung und oft auch ein Kopftuch, das nur sehr locker getragen wird. Das Kopftuch wird in Iran heute immer mehr zum modischen Accessoire, vor allem in den Städten. 

Trotz der gesetzlichen Kleidervorschriften haben Frauen im Iran einen hohen Stellenwert. Nicht nur im eigenen Zuhause gibt die Frau den Ton an, sie besetzt oft auch hohe Positionen in der Politik und in der Arbeitswelt. Die Frauen sind auch überaus gebildet. Auf den Universitäten macht der Frauenanteil rund 60% aus. Aber nur rund 10% treten nach ihrem Studium auch ins Berufsleben ein. 

Das Dorf als Seminarort (Foto: https://www.facebook.com/Esfahkvillage)

Dieser vermeintliche Kontrast zwischen Unterdrückung und Frauenpower hat auch seine historischen Wurzeln. Vor der Islamischen Revolution und dem Sturz des Shahs 1979 genossen Frauen im Iran mehr Freiheiten als ihre Nachbar*innen. Die Gesellschaft war progressiv. Reza Shah hat schon 1931 das Scheidungsrecht für Frauen eingeführt, das heiratsfähige Alter wurde erst auf 15 und später auf 18 Jahre angehoben, und Mädchen durften die Schule besuchen. 1962 bekamen Frauen auch das Wahlrecht. Die Schweiz hat z.B. erst 1971 das Frauenwahlrecht eingeführt. Frauen besetzen im Iran heute Positionen in der Politik, sie dürfen wählen, Auto fahren, arbeiten und Grund erwerben.  

Tourist*innen sind oft bei der Ankunft im Iran überrascht, dass es doch viel lockerer ist als erwartet.

Matthias Schmidt / @irancloser 
Frauen im Dorf Esfahk (Foto: Matthias Schmidt / @irancloser)

Und wie ist die Situation der Frauen im Dorf Esfahk? Frauen spielen eine wichtige Rolle im Familienleben – aber nicht nur. Frauen sind und waren auch ein treibender Faktor bei den Dorfrat-Sitzungen im Vorfeld des Projekts. Heute bilden Frauen im Dorf in der touristischen Infrastruktur Teams, die auch jeweils von einer Frau geleitet werden. Zum Beispiel liegen das gesamte Restaurantmanagement, inklusive Beschaffung und Lieferung der lokalen Lebensmittel, in Frauenhand. Auch die Rezeption und die Buchhaltung wird von Frauen geführt. In Kunsthandwerk-Workshops trifft man die Frauen in dem dafür errichteten Gebäude im Village. Hier kann man unter anderem von ihnen auch lernen, wie man eine Puppe bastelt. Sie verkaufen auch ihre handwerkliche Erzeugnisse, Kräutermischungen, Gewürze und Safran.

Mir gefällt die Arbeit hier, weil es mir das Gefühl gibt, etwas Sinnvolles zu tun.

https://taz.de/Nachhaltiger-Tourismus-im-Iran/!5735771/

Zohre Heidarzade zog 2017 mit ihrem Mann und den Kindern von der Metropole Maschhad zurück in ihr Heimatdorf. Sie gründete zusammen mit 30 anderen Frauen das Handarbeitsteam. Sie recherchiert traditionelle Designs und erarbeitet eigene Marketingstrategien. Mit ihrem Team diskutiert sie oft auch bis Mitternacht, wie die Produkte verbessert und der Verkauf angekurbelt werden können. Die Rolle der Frau im Dorf folgt traditionellen Werten, aber die Grenzen sind fließend. 

Handwerk aus Esfahk (Foto: https://www.facebook.com/Esfahkvillage)

Zeit ist relativ

Aus westlicher Sicht geht die Entwicklung im Projekt sehr langsam voran. Die vielen Diskussionen über 5 Jahre im Vorfeld waren wichtig, um dem Ziel des Projekts gerecht zu werden, nämlich der Wiederbelebung des historischen Esfahk, seiner Kultur, Tradition und Bräuche, und einer behutsamen Weiterentwicklung.

Klaus Betz für den Studienkreis für Tourismus und Entwicklung e.V.

Somit dauerte es noch weitere 10 Jahre bis die 7 Lehmhäuser neu aufgebaut wurden und Tourist*innen das Angebot nutzen konnten. Mehr als 8 Gästehäuser soll es auch nicht geben. (Anm.: Stand 2020) Das Dorf hat sich selbst diese Beschränkung auferlegt.  

Jeden Abend vor Einbruch der Dunkelheit geht Ali Hassanzade (35) seine Runde durchs Dorf und platziert Petroleumlaternen entlang der Gehwege. Auf die Verwendung von elektrischen Leuchten wird im Esfahk Historical Village bewusst verzichtet, um den freien Blick auf den Sternenhimmel über der Wüste nicht zu verschmutzen. (Foto: Matthias Schmidt / @irancloser)

Eine Uhr wird nicht gebraucht, vielmehr folgt der Tagesablauf den Gegebenheiten der Wüste.  In dem lange Zeit isoliert gelegenen Oasen-Dorf Esfahk, umgeben von Wüste und Salzsteppe, hat man über die Jahrhunderte hinweg seine eigene, das Überleben sichernden Wirtschaftsformen und sozialen Verhaltensweisen entwickelt. Wirtschaftswachstum und Effizienz sind und waren nie Priorität. Hingegen zählen Nachhaltigkeit und Gemeinschaft zu den wichtigen Werten im Projekt. Die Wüste lehrt, dass Entscheidungen dem Gemeinwohl dienen sollen und eine kreislaufartige Wirtschaftsweise langfristig das Überleben sichert. Ressourcen in der Wüste sind knapp – und diese müssen gerecht verteilt und über einen langen Zeitraum gesichert werden.

Lehmbaugruppe (Foto: https://www.facebook.com/Esfahkvillage)

Wohin geht die Reise?

Das wichtigste touristische Angebot ist das Beisammensein mit den Einwohner*innen von Esfahk und das Teilen des dörflichen Lebens. Darüber hinaus bieten wir verschiedene Angebote, wie die Nutzung eines authentischen Hamams oder die Beobachtung des Nachthimmels in der Wüste mit einem professionellen Teleskop und Ausflüge in den umgrenzenden Geopark von Tapas, mit seiner einzigartigen geografischen Vielfalt.

Die Gemeinschaft / Das Projekt

Als Tourist*in kann man in Esfahk heute die lokale Küche aus eigenem Anbau genießen oder an offener Feuerstelle Brot backen. In Workshops kann man Knüpftechniken lernen oder Puppen herstellen. Im Kindergarten sowie der Grund- und Hauptschule stehen Begegnungen am Programm oder man lernt die Lehmbauweise und die traditionellen Bewässerungssysteme kennen (Qanats). Wer lieber die Umgebung erkunden möchte, kann an einer Exkursion zum Korit-Damm auf 1700 m Höhe teilnehmen oder den Geopark besuchen. Im Coffee-Shop oder im Hamam lässt es sich gut entspannen, bevor man am Abend an einer Sternführung teilnimmt.  

Erstaunlich ist die innerhalb des Esfahk Historic Village-Teams verbreitete Grundhaltung, dass man sich selbst nicht unter einem ökonomisch Druck sieht und man deshalb die Anzahl der Gästehäuser auf acht limitieren will und künftige Partnerschaften davon abhängig macht, ob man die gleichen Wertvorstellungen teilt. 

Die Gemeinschaft / Das Projekt

Die Pandemie hat auch Esfahk beeinflusst. Der inneriranische Tourismus fand zwar weiterhin statt, doch ist es für die Dorfgemeinschaft von Vorteil, wenn mehr ausländische Tourist*innen kämen. Hier zeigt sich aber auch, dass es gut ist, sich nicht nur vom Tourismus abhängig zu machen. Sorgen machen sich die Einwohner*innen nicht.  

Vor diesem Hintergrund jedenfalls ist Esfahk Historic Village zu einem klug strukturierten Modell geworden, das eine Reihe von jungen Leuten veranlasst hat, in ihr Heimatdorf zurückzukehren oder dort zu bleiben. 

Klaus Betz für den Studienkreis für Tourismus und Entwicklung e.V.
Tourist*innengruppe entspannt im Hof des Coffeeshops. Vor dem Erdbeben war die Dorfklinik hier untergebracht. (Foto: Matthias Schmidt / @irancloser)

Ziel ist immer die behutsame Weiterentwicklung des Projektes. Man sieht sich nicht unter einem ökonomischen Druck. Vielmehr zählen die Gespräche mit den Bewohner*innen oder der Dialog zwischen den Bewohner*Innen, z.B. nach dem Freitagsgebet. Esfahk ist heute ein Vorzeigemodell für selbstbestimmten und gemeindebasierten Tourismus ohne Identitätsverlust und ohne Ausbeutung – dafür mit einer extra Portion Stolz und Kultur. Ein Projekt, das zeigt, wie Tourismus gegen Armut und Stadtflucht wirken kann.

Weitere Informationen zu Esfahk:

https://taz.de/Nachhaltiger-Tourismus-im-Iran/!5735771/

https://www.todo-contest.org/pramierte-projekte/to-do-award-2020-esfahk-historic-village-iran/

https://irancloser.com

https://www.tourism-watch.de/de/schwerpunkt/krisen-gemeinsam-bewaeltigen

https://www.nachhaltigleben.ch/bauen/oekologisches-bauen-der-lehmbau-und-seine-vielen-vorteile-2320

https://www.instagram.com/esfahk_tourism/