Durch Selbstbestimmung unterwegs zur Unabhängigkeit daheim?
 Von der Emanzipation allein reisender Frauen

von Marie-Luise Buchinger & Harald A. Friedl

Von pauschal zu individual: Als Touristinnen legen Frauen einen klaren Trend vor und entscheiden sich immer öfter dazu, alleine zu verreisen. Die von Daheimgebliebenen geäußerten Sicherheitsbedenken dazu sind zwar gut gemeint, aber längst nicht mehr zeitgemäß. Hinter der Reise alleine steckt ein hochemanzipativer Effekt für Frauen: Sie fühlen sich nach der Reise eigenständiger, unabhängiger und gelassener, behauptet Marie-Luise Buchinger im Rahmen ihrer Bakkalaureatsarbeit für das Studium „Gesundheitsmanagement im Tourismus“. Dazu befragte sie neun Frauen im Alter von 22 bis 60 Jahren mit entsprechenden Reiseerfahrungen auf allen Kontinenten. Der Effekt weiblicher Emanzipationsförderung infolge der alleine unternommenen Reisen wurde anhand der Parameter Eigenständigkeit, Unabhängigkeitsgefühl und Problemlösungsstrategie gemessen. Entstanden ist dieses Forschungsinteresse durch persönliche Reiseerfahrungen der Autorin, die nachhaltige weibliche Emanzipationsförderung von Frauen im Bildungsbereich auf ihrer weiteren Agenda hat.

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Photo: Marie-Luise Buchinger

Fast 400 Jahre lagen zwischen Magellan’s Weltumsegelung im frühen 16. Jahrhundert und jener der Polin Krystyna Chojnowska-Liskiewicz 1978. „Warum dauerte das solange?“, könnte man sich fragen – und sollte man sich auch.

Reisen zu explorativen Zwecken galt stets als Männerdomäne, und nur selten wurde eine Frau zu Schiff, zu Kutsche oder zu Flugzeug gelassen, denn „es schickte sich nicht“, Frauen seien „zu schwach“ gewesen, um eine Reise zu überstehen. Dies erschwerte den Befreiungsschlag aus dem traditionalistischen Rollenbild des „schwächeren Geschlechts“ umso mehr. Dieses umfasste schließlich ihre Funktion in der Familienpflege und in deklarierten „Frauenberufen“. Dass sie eines Tages von der Sammlerin zur Jägerin nach eigenen Erfahrungen unterwegs sein würde, hätte wohl einstmals so manchem Patriarchen einen müden Lacher gekostet.

Zum Glück muss sich Frau von westlicher Welt nicht mehr mit verstaubten Auffassungen aus vergangenen Tagen beschäftigen. Die emanzipatorischen Bewegungen ab den 1960er-Jahren und die damit verbundene Herauslösung der Frau aus konventionellen Gesellschaftsstrukturen wurden im Zusammenspiel von neuen Erwerbsformen, Bildungszugängen und Gesetzesangleichungen zur längst überfälligen Befreiung für ein gesamtes Geschlecht.

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Photo: Marie-Luise Buchinger

Diese Freiheit findet nun ihre Bestätigung in individualisierten Reiseformen vieler Frauen. Als Motive dafür stehen das Streben nach Eigenständigkeit, das damit verbundene Erleben von Unabhängigkeit und die gezielte Überwindung von Alltagsstrukturen und -prozessen. Anders als bei ihren männlichen Reisekameraden ergeben sich bei Frauen jedoch andere Problemstellungen: So erweisen sich etwa die Sicherheit des Ziellandes und die dort herrschende kulturelle Einstellung gegenüber Frauen viel öfter als entscheidende Kriterien der Eignung eines Reiseziels für Frauen. Zudem müssen sich Frauen oft vor Reiseantritt von ihrem Umfeld anhören: „Das traust du dich? Alleine? Als Frau?“ – eine Aussage, die deutlich macht, dass die Gleichberechtigung der Geschlechter im gesellschaftlichen Ansehen längst noch nicht umfassend erreicht ist.

Auch nach der Rückkehr von einer solchen Reise trägt das unterwegs entwickelte Unabhängigkeitsgefühl zu Hause zu größerer Eigenständigkeit bei. Wer sich auf Reisen Problemen alleine stellen musste, erweiterte und vertiefte dadurch seine Problemlösungsstrategien und wendet diese, wieder daheim, häufig auch im Alltag weiterhin erfolgreich an. Diese Erweiterung des gewohnten Problemlösungsrepertoires lässt zu, dass weibliche Globetrotterinnen dazu neigen, sich emanzipierter zu fühlen und selbstbewusster aufzutreten als jene, die ihr gewohntes Umfeld seltener, bevorzugt in einer geführten Reiseform, oder nur in Begleitung eines Reisepartners verlassen. Allerdings ist noch zu wenig erforscht, ob diese Form des Emanzipationsprozesses auch durch die Bewältigung alltäglicher Herausforderungen des Lebens greifen könne. Es wird jedoch vermutet, dass der Einfluss eines konservativen sozialen Umfeldes einer veränderten, emanzipierteren Selbstwahrnehmung von Frauen wesentlich entgegenstehe.

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Photo: Marie-Luise Buchinger

Wer als Frau seine vertraute Bezugsgruppe vorübergehend verlässt und auf solchen Reisen allein und aktiv seine „Frau“ stehen muss, fördert seine weibliche Emanzipation. Denn Emanzipation bedeutet in seinem Wesenskern die Überwindung von Abhängigkeit. Eben diese kann man bekanntlich auf Reisen am besten hinter sich lassen. Aus dieser Perspektive wird die Herausforderung zur Chance für die persönliche Entwicklung, etwa wenn das Handy „tot“ oder die Bankomatkarte gesperrt ist, oder wenn das zugesicherte Transportmittel nicht auftaucht und „Frau“ dadurch auf sich alleine gestellt ist. Not macht erfinderisch, und eben diese erzwungene Tugend der Kreativität können allein reisende Frauen für ihre emanzipative Persönlichkeitsbildung nutzen.

Fazit: Wer fernab einer gesicherten Infrastruktur mit Hand und Fuß verhandeln kann, um in einer schwierigen Situation wieder Oberwasser zu erlangen, der kann auch zu Hause selbstsicher die Frage stellen: In welcher Welt sind Frauen noch „zu schwach“?

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Photo: Marie-Luise Buchinger

AutorInnen:
Marie-Luise Buchinger studierte „Gesundheitsmanagement im Tourismus“ an der FH Joanneum Bad Gleichenberg. All jene, die sich für Details ihrer Bakkalaureatsarbeit interessieren, können sie kontaktieren unter: damen.vonwelt@gmail.com

Harald A. Friedl ist Professor für Nachhaltigkeit und Ethik im Tourismus am Institut für Gesundheit und Tourismus Management der FH JOANNEUM Bad Gleichenberg.