Reisen for Future?! Wie geht ehrlicher Klimaschutz im Tourismus?

Ein Diskurs zwischen Cornelia Kühhas (Naturfreunde Internationale – RESPECT) und Harald A. Friedl (FH JOANNEUM Bad Gleichenberg)

Mit der Fridays-for-Future-Bewegung ist der Klimaschutz auch in der Reisebranche verstärkt Thema. Da ist von „Flightshaming“ die Rede, es werden Kompensationszahlungen getätigt und Bäume gepflanzt. Doch was ist sinnvoller und wirksamer Klimaschutz, was bloß ein PR-Gag im grünen Mäntelchen?

HARALD A. FRIEDL, Professor für Nachhaltigkeit und Ethik im Tourismus am Institut für Gesundheits- und Tourismusmanagement der FH JOANNEUM in Bad Gleichenberg, und CORNELIA KÜHHAS, Expertin für Nachhaltige Tourismusentwicklung bei der Naturfreunde Internationale – respect, wagten das Vergnügen eines Diskurses über diese komplexen Fragestellungen …

Foto: Cornelia Kühhas

Kühhas: Einige Fluggesellschaften und Reedereien kündigen an, in einigen Jahren „kohlenstoff-neutral“ oder „klimaneutral“ unterwegs zu sein. Dies soll vor allem durch Emissionshandel und Kompensationszahlungen in verschiedene Klimaschutzprojekte gelingen.
Das sehe ich kritisch … Geht die Kompensation mit einem bewussteren Reisen Hand in Hand und werden mit dem Geld auch Projekte unterstützt, die z.B. Klimaanpassungen in Ländern des Globalen Südens oder nachhaltige Tourismusprojekte unterstützen, macht dies grundsätzlich natürlich Sinn. Doch die CO2-Kompensation darf nicht als Legitimation missbraucht werden, so weiterzumachen wie bisher. Freiwillige Kompensationszahlungen können den weltweit übermäßigen CO2-Ausstoß nicht kompensieren, vor allem dann nicht, wenn der Flugverkehr weiter so rasant steigt, wie in den letzten Jahren. Die Flugbranche führt CORSIA, das Carbon Offsetting and Reduction Scheme for International Aviation, ins Rennen. Demnach sollen die CO2-Emissionen auf dem Niveau von 2020 stabilisiert werden, indem die Fluggesellschaften die darüber hinaus gehenden Emissionen kompensieren. Doch die Regelungen dafür sind unklar und die NGO Transport&Environment rechnet vor, dass die CO2-Emissionen des Flugverkehrs allein in Europa von 2012 bis 2030 sogar um knapp 684 Mio. Tonnen steigen würden. (https://www.transportenvironment.org/publications/why-icao-and-corsia-cannot-deliver-climate)

Friedl: Du hast Recht, was uns aber zunächst nicht viel nützt. Denn die komplexe Problematik der Klimaerwärmung erfordert eine Herangehensweise auf mehreren Ebenen: Wir müssen einerseits die Prozesse unserer globalen Gesellschaft, Wirtschaft, Politik und Interaktion mit unseren Lebensressourcen verstehen, andererseits auf dieser Basis Lösungsansätze entwickeln, die einerseits wirkungsvoll sind, andererseits aber auch durchsetzbar. Und genau dort liegt der Hund begraben. Denn die Tragödie des Tourismus ist sein enormer Erfolg als Konsumgut der Illusion: Verkauft wird der Ausflug ins Paradies, in dem alles Schlechte und Schädliche ausgeblendet wird. Der Kunde von Kurztrips in ferne Welten, ob per Kreuzschiff oder per Flugzeug, ist kein philosophischer Öko-Ethnologe, sondern aktiver Teil einer Kultur der Maximierung von Genuss, Spaß, Erlebnis und coolen Selfies zum möglichst geringen Preis. Aus neurobiologischer Sicht wird sich diese Kultur wohl erst ändern, wenn sie zu schmerzhaften Erfahrungen führt, etwa in Gestalt einer überwältigenden Angst vor Klimaextremen oder vor sozialen Unruhen in exotischen Regionen als Folgen der Klimaerwärmung.

Die Flug- und Schifffahrtsunternehmen wiederum sind in der Kultur der Gewinnmaximierung verwurzelt. Darum fürchten sie sich, so pervers es klingen mag, weit mehr vor den Folgen eines ernsthaften Wandels der Reisekultur, verbunden mit dramatischen Verlusten ihrer kapitalintensiven Industrie, als vor der Klimaerwärmung. Also tun sie, was sie immer schon am besten konnten: Schöne Geschichten erzählen – nun eben von „grünen“ Reisen ins Paradies, die genauso absurd sind wie jene vom „authentischen Erleben“ einer fremden Welt vom Balkon eines Monsterschiffes aus.

Foto: Cornelia Kühhas

Kühhas: Ganz genau! Daher braucht es politische Lösungen und einheitliche Rahmenbedingungen und gesetzliche Vorgaben. So muss endlich Schluss sein mit der Steuerfreiheit für Kerosin. In über 20 EU-Staaten agiert der internationale Luftverkehr nach wie vor steuerfrei, in keinem einzigen Land der EU werden Steuern auf Kerosin eingehoben. Noch wichtiger wäre aber, dass Kostenwahrheit herrscht. Reisen muss wieder an Wert gewinnen, monetär und auch ideell.

Friedl: … womit Du die normative Ebene ansprichst. Mich interessiert wiederum der Weg dorthin, denn mutige, richtungsweisende Politik ist immer auch schmerzhaft und darum bedroht vom Verlust der herkömmlichen politischen Legitimation durch verlorene Wahlen. Australiens gescheiterte CO2-Bestreuerungspolitik ist dafür ein dramatisches Beispiel (https://medium.com/@traviselsum/enough-promises-on-climate-change-its-time-to-pay-up-1f8cf3cf62b2). Der jüngste Wahlerfolg der Bundesgrünen erscheint mir darum weniger Ausdruck einer Klima-Erleuchtung zahlreicher österreichischer WählerInnen geschuldet zu sein als vielmehr der desaströsen Performance der Freiheitlichen. Daraus folgt, dass herkömmliche demokratiepolitische Mechanismen nicht für solch fundamentale Herausforderungen wie der Klimaerwärmung greifen, deren Folgen auf alle Ebenen von Gesellschaft, Kultur, Lebensstil, Wirtschaft – und eben auch Politik einwirken. Ich komme darum zunehmend zur Überzeugung, dass Aktionen des gewaltfreien zivilen Widerstandes, wie sie etwa Bill McKibben, führender Umweltaktivist und Autor des Buches „Die taumelnde Welt. Wofür wir im 21. Jahrhundert kämpfen müssen“ gerade zur Unterstützung einer zukunftserhaltenden Klimapolitik unverzichtbar sind. Und dies gilt erst Recht für eine zukunftserhaltenden Tourismus-, Flug- und Kreuzschifffahrtspolitik.

Foto: Cornelia Kühhas

Kühhas: Österreichs Flughäfen haben unlängst in einer Presseaussendung ihr Ziel bekannt gegeben, bis 2050 klimaneutral zu arbeiten. Gleichzeitig wird betont, dass die globale Luftfahrt mit „nur“ 2,7 % am weltweiten CO2-Ausstoß beteiligt ist. Dabei wird verschwiegen, dass der Luftverkehr seit einigen Jahren massiv zunimmt – Tendenz weiter stark steigend –, und dass die Schadstoff-Emissionen der Flugzeuge in den höheren Atmosphärenschichten eine verstärkte Treibhauswirkung haben.

Friedl: Korrekt. Seriöse Berechnungen der Flug-Emissionen gehen davon aus, dass der CO2-Ausstoß eines Flugzeuges lediglich ein Drittel der klimaschädigenden Auswirkungen umfasst (vgl. https://www.atmosfair.de/wp-content/uploads/flug-emissionsrechner-dokumentation-berechnungsmethode-1.pdf), dass somit die globale Belastung durch den rasant steigenden Flugverkehr um vieles höher anzusetzen ist. Wieder ein wunderbares Beispiel für die in der Tourismuswirtschaft tief verwurzelte Kultur der Beschwichtigung, Beschönigung und Vertuschung.

Kühhas: In diese Richtung geht auch die Ankündigung sowohl der Flug- als auch der Kreuzfahrtbranche, verstärkt auf alternative Treibstoffe zu setzen. Doch auch die sind nicht unbedingt umweltfreundlich und sozial verträglich. Bei Agrotreibstoffen beispielsweise stellt sich die Frage nach deren Herkunft. Rohstoffe von neu angelegten Plantagen bedeuten negative Folgen für Umwelt und Menschen vor Ort: durch Brandrodung wird Klimaschutz konterkariert; Einheimische werden verdrängt und landwirtschaftliche Flächen gehen für die Produktion von Lebensmitteln verloren.
Wo die Kreuzfahrtbranche auf Flüssiggas anstelle von Schweröl setzt, wird zweifellos die äußerst gesundheits- und umweltschädigende Emission von giftigem Schwefeldioxid beendet. Der Antrieb bleibt aber weiterhin erdölbasiert und somit klimaschädlich. Bedenklich ist zudem, dass es noch immer billiger ist, Kompensationszertifikate zu kaufen, als in die Forschung zu alternativen Treibstoffen zu investieren (Quelle: Transport&Environment). Auch die Reduktion des Treibstoffverbrauchs durch effizientere Flugtechnologie wird von der Flugindustrie als ein Lösungsweg präsentiert. Derartige Einsparungen werden jedoch durch den rasanten Anstieg der Flugreisenden mehr als „wettgemacht”.

Friedl: Ich sehe in all diesen Maßnahmen sogenannte „Quick and Dirty Solutions“, also vordergründig schnelle Lösungen, die aber am systemischen Kernproblem nichts verändern, es vielmehr noch verschärfen. Ich denke, es führt kein Weg vorbei an jenem von Dir eingangs geforderten Kulturwandel weg vom reinen „Konsum-Urlaub“. Dazu arbeite ich derzeit mit einem australischen Forscherteam um Susanne Becken zu Fragen der Relevanz der „Flight-Shame“-Bewegung. Dies könnte der Ausdruck eines solchen möglichen Kulturwandels sein. Für seriöse Einschätzungen dieses Social-Media-Phänomens ist es noch zu früh, doch sehe ich darin eine Chance, um relevanten Druck auf die Flug- und Kreuzschifffahrtsindustrie wie auch auf bislang unachtsame Kunden zu erhöhen. Ich sehe hier Parallelen zur #metoo-Debatte oder, historisch weiter zurückliegend, zum Abolitionismus, der christlich und aufklärerisch motivierten Bewegung zur Abschaffung von Sklaverei. Meiner Überzeugung nach führt kein Weg vorbei an einer fundamental veränderten ethischen Bewertung des Reisens: Derzeit wird von der UNWTO unbeirrt das „Recht“ auf Reisen beschworen, und damit das „Recht auf Klimaschädigung“ – doch ausschließlich für Menschen mit dem nötigen Kleingeld. Vorenthalten wird dieses „Recht“ hingegen Menschen auf der Flucht vor – zum Teil durch Klimawandel verursachten – katastrophalen Lebensbedingungen, ohne selbst diese Folgen wesentlich verursacht zu haben. Für derartige Fragen über Kostenwahrheit und Kollateralschäden des Reisens interessiert sich die UNWTO jedoch nicht, denn das würde Sympathien, Geld und Einfluss kosten.

Kühhas: So wird ja auch argumentiert, dass die Besteuerung des Flugverkehrs in Europa viele Arbeitsplätze kosten würde. Und würden plötzlich alle daheimbleiben, so bedeutete dies den Kollaps der Tourismuswirtschaft in zahlreichen Tourismusdestinationen, mit gravierenden Auswirkungen auf deren wirtschaftliche, soziale und politische Stabilität. Fernreisen gänzlich zu verdammen wäre darum der falsche Weg. Und schließlich öffnet Reisen ja auch den persönlichen Horizont und schafft Begegnungen mit anderen Menschen und Kulturen …

Foto: Lisa Schopper

Friedl: Genau an dieser Ideologie setzt ja die UNWTO sowie Mainstream-Tourismusmarketing an: Tourismus bringt Geld, Völkerverständigung und Friede. Für den Hardcore-Tourismus ist das blanker Unsinn, denn selfie-gesteuerte Massen folgen eingeübten Wahrnehmungs-, Entscheidungs- und Konsummustern. Da ist kein Platz ist für eine sensible, kritische und lernbereite Auseinandersetzung mit den „Bereisten“. Denn diese würde unweigerlich den Glauben an die Sinnhaftigkeit dieser Form des Reisens, aber auch dieses Lebensstils erschüttern. Tourismus als Gelddruckmaschine ist nicht minder ein Mythos, wenn wir die hohen Sickerquoten in zahlreichen Destinationen ansehen. Der Löwenanteil an den Einnahmen geht in der Regel an kapitalintensive Dienstleister wie Fluglinien und luxuriöse Hotelketten. Das klingt jetzt wie eine Renaissance der schwarzen Tourismuskritik, und ich gebe auch offen zu: Ja, ich bin in meinem Leben sehr viel gereist, habe viel gesehen und viel gelernt, doch aufgrund eben dieser zum Teil erschütternden Erfahrungen bin ich Tourismusethiker geworden. Vor allem haben sich die Zeiten, Rahmenbedingungen und Möglichkeiten dieser Welt verändert. Heute noch übers Wochenende zum Flanieren nach Barcelona fliegen halte ich darum, weil für Einheimische mehr Belastung als ökonomischer Segen, fürs Klima Gift und fürs persönliche Wohlbefinden entbehrlich, für unanständig.