“Entschuldigen Sie die intime Frage: Wie machen Sie das mit Ihrem Hintern?” Wie oft habe ich diese Frage in den vergangenen 3 Wochen nun schon insgeheim in meinem Kopf formuliert. Mindestens 50 mal seit dem Moment, als ich begriffen habe, dass die in Thailand und Nachbarländern neben jedem Toilettensitz angebrachte Wasserstrahlpistole keine innovative Alternative zur Klobürste ist, sondern eine traditionelle Alternative zu Klopapier. Natürlich wirft das Fragen auf. Aber keine Sorge. Die Etikette hat mich vor interkulturellen Peinlichkeiten bewahrt. Ich habe die Frage nicht laut ausgesprochen … Zumindest nicht bis gestern. Die Gunst der Stunde war gekommen. Statt in einem der uns beherbergenden “Guesthouses” einem der freundlichen Thai mit einer ungewöhnlichen Frage ein eingefrorenes Lächeln zu verschaffen, hatte ich nun die Gelegenheit, eine asienerfahrene Wiener Freundin ins Verhör zu nehmen. Sie hatte uns auf unserer flugzeugfreien Weltreise in Thailand abgepasst und stand am Morgen nach dem Wiedersehen mit einer Packung Klopapier vor unserem Zimmer.
“Guten Moooorgen!” Hatte Sie etwa gerade die Diskussion mit meinem Partner mitgehört, wer nun eine neue Rolle Klopapier von der Rezeption holen gehen sollte?! Peinlich genug. Nun drückte sie mir auch noch mit einem allwissenden Lächeln ihre brandneue Packung in die Hand: “Hier! Die kannst du haben. Ich brauch sie nicht.” Kurze Pause. Dann meine erstaunte Frage: “Wie? Du brauchst sie nicht?” “Ich benutze die Thai-Version – ist viel hygienischer … und … (Pause … in der sie mich herausfordernd von oben bis unten mustert) … viel ökologischer!”

Touché! Mir fehlen die Worte. Und mir fehlt noch etwas: Die Sozialisierung in dieser Kunst des Hintern-Reinigens. Oder der Mut etwas (für mich) Neues auszuprobieren. Dabei würde es einem die Thai-Technik der Wasserstrahl-Pistolen-Reinigung (siehe Foto) sogar relativ leicht machen. Man müsste – wie mir meine Freundin versichert – nicht einmal “handgreiflich” werden (wie das in anderen klopapierfreien Ländern der Fall ist). Entschuldigen Sie die direkten Worte. Aber lassen Sie uns mal die Dinge beim Namen nennen. Fakt ist – und da hat meine werte Freundin wohl recht – Wie ökologisch ist es, wenn man sich mit Bäumen den Allerwertesten abwischt?
In Wien hatte ich die Qual der Wahl zwischen “Toilettenpapier aus frischem Zellstoff” (ein Euphemismus für: Wir haben den Baum extra für ihren Hintern gefällt), Hygienepapier aus nachhaltiger Waldwirtschaft (der Baum wird immer noch für unseren Hintern gefällt, aber er wird immerhin nachgepflanzt), und “Recycling Toilettenpapier” (der Baum wurde nicht für unseren Hintern gefällt, sondern für Schreibpapier und Co, das im nächsten Schritt zu Hinternpapier downgecycelt wird) zu wählen. Wobei … das Verhältnis zwischen Zellstoff-papier und Recycling-Papier (großzügig geschätzt 1 von 10 Optionen) darauf hindeutet, dass der extra gefällte Baum im freien Markt noch immer die kulturelle Präferenz ist. Und auch die supermarkt-technische Klopapier-Auswahl im unwissenschaftlichen Durchschnitt von 23 bisher besuchten Ländern, lässt nicht gerade eine rosigere Zukunft für die Wälder der Welt vermuten. Eine – im wahrsten Sinne des Wortes – scheiß Situation? Vielleicht kann ja Thailand zu dieser Diskussion etwas beitragen?

Nein! Dieses kleine Königreich im Herzen Süd-Ost Asiens, kann diese Diskussion eigentlich mit ruhigem Gewissen (!) überspringen (!). Durch ihre bewährte, traditionelle Wasserstrahl-Pistolen-Technik erspart das kleine Land der Welt jährlich unzählige gefällte Bäume. Das fällt nicht ins Gewicht meinen Sie? Schwer getäuscht. Ich hab da mal rumgerechnet*: Hätte das ganze Land, so viel Frischfaserklopapier** verbraucht wie ich allein in den vergangenen 3 Wochen hier, so hätten in der kurzen Zeit mehr als 400 Millionen Rollen ein – verzeihen Sie mir – beschissenes Ende genommen. Das entspricht in etwa 562,297 von Thai unwissentlich geretteten Tropenholzbäumen jedes Jahr! Oder in Fichtenbäumen sogar ganze 1,3 Millionen Bäume! 1,3 Millionen Bäume, die die Menschheit sicherlich für sinnvollere Dinge verwenden könnte, als unsere Hintern.
UND weil die Wasserstrahlpistolen-Reinigung nicht nur hilft Wälder zu schützen, sondern auch Wasser und Energie zu sparen***, haben wir nun noch einen Grund mehr zu hoffen, dass wir schneller sind im Kopieren Asiens, als die Asiaten im Kopieren des Westens!
*Quellen:
– https://www.abenteuer-regenwald.de/bedrohungen/papier
– http://www.regenwald-schuetzen.org/fileadmin/user_upload/PDF/Arbeitsblaetter/Papier/7.4_LI_wievielinbaeumen_mai_2013.pdf
** Davon ausgegangen, dass das in den Herbergen bereitgestellte Toilettenpapier aus Frischholzfasern war.
*** für ein handelsübliches Päckchen Kopierpapier (500 Blatt DIN A4, 2,3 kg) werden z.B. 7,5 Kilogramm Holz, 130 Liter Wasser und 26,8 Kilowattstunden Energie benötigt.
Über die Bloggerin: Valentina Aversano-Dearborn ist freie Journalistin, Nachhaltigkeitswissenschaftlerin, Leiterin der Jugendumweltbildungs-NGO „Forum für nachhaltige Visionen in Aktion“ (www.forum-via.org) und leidenschaftliche Weltenbürgerin. Auf ihren Streifzügen durch die Welt trifft sie regelmäßig auf unterschiedliche Fragen der Nachhaltigkeit und hält diese als Bloggerin fest. Auch dieser Beitrag ist in leicht abgewandelter Form in ihrem LEBENSART Blog: „Unterwegs in der Welt“ erschienen.
DIESER ARTIKEL IST EINER DER BEIDEN SIEGER-BEITRÄGE UNSERES BLOGGER/INNEN-WETTBEWERBS 2015 “FAIReisen & die Welt entdecken”.
Die Jury-Wertung:
Witzig geschrieben, bildhafte und farbenprächtige Sprache. Es wird ein Tabuthema angesprochen – viele Asien-Reisende haben sich sicherlich genau diese Frage schon mal gestellt … Im Beitrag werden wichtige Aspekte eines fairen Tourismus berücksichtigt: Nachhaltigkeit, Verständnis anderer Kulturen, respektvolles Reisen – und das alles ohne erhobenen Zeigefinger. Der Artikel wirft aber auch einen kritischen Blick auf unsere Kultur.
Die Jury:
Annemarie Herzog / Chefredakteurin Magazin LEBENSART; Linda Nepicks/ Reiseleiterin & Reisefachfrau Odyssee Reisen; Katrin Karschat, Cornelia Kühhas, Andrea Lichtenecker / Naturfreunde Internationale – respect
Hallo Tom, zu deiner Frage: Wie gesagt blieb die lokale Vorgehensweise bei der Wasserstrahlnutzung leider auch eines der unerschlossenen Mysterien meiner Reise.. Wahrscheinlich würden sich die Thais darüber amüsieren, wenn sie wüssten wie kompliziert wir das Ganze denken (Handtuch geteilt, oder Kombipackung mit Papier etc.). Meine Freundin aus der Geschichte meinte jedenfalls, dass es ja in S.O.Asien i.d.R. so heiß ist, dass die Umgebungsluft wie ein Fön funktioniert.. Falls du noch dort bist; Viel Spaß beim Ausprobieren 🙂
Hallo, witzig geschriebene Reportage. Danke! Es beantwortet mir aber leider meine wichtigste Frage nicht: wie trocknet man sich am Ende ab? Hier in Südostasien in den Hotels liegt ja dieses unsägliche dünne 0.5-lagige (es einlagig zu nennen wäre lobhudelei) Toilettenpapier, das nach der Waschung komplett am Hintern zerbröseln würde 🙁
Hat dann jeder Asiate sein eigenes … nun ja … nennen wir es ein … äh … Arschtuch 🙂 ? Ein familiär gemeinsam genutztes wäre ja jetzt nicht so prickelnd 😉