“Hello, my name is Hong Kong”, begrüßt uns ein Schild am Victoria Peak. Darunter erstreckt sich die Millionenstadt in ihrer vollen Größe, umgeben von üppigen Hügellandschaften und 263 vorgelagerten Inseln. Man blickt auf einen der am dichtesten besiedelten Plätze der Welt, auf der einen Seite in Menschen, auf der anderen in Vögeln und Schmetterlingen gemessen.

Die Stadt ist überraschend überschaubar. Ich denke zurück an den Blick über die 2,3 Millionenstadt Quito, die sich wie ein endloser Teppich unter mir erstreckt hat, ohne sichtbaren Anfang und Ende. Hong Kong hingegen wirkt, als hätten sich die Wolkenkratzer erst mühsam ihren begrenzten Platz in der üppigen Vegetation erkämpfen müssen. Erst bei näherem Hinsehen erkennt man unzählige winzige Fenster, die auf die 7 Millionen Einwohner schließen lassen, deren Lebens- und Denkweise sowohl von der chinesischen, als auch der britischen Kultur geprägt sind. Genau diese Mischung, dieses “geordnete Chaos”, macht den skurril-sympathischen Charme der Metropole aus.
Getümmel auf bunten Goldfisch- und Blumenmärkten, buddhistische Tempel mit aufwendig gestalteten Zen-Gärten, billige Elektrogeschäfte und chinesische Apotheken, in denen getrocknete Seepferdchen und Schweinedärme bei Schnupfen verschrieben werden, prägen das Bild der Halbinsel Kowloon. Eine Meerenge entfernt, auf Hong Kong Island, tuckern bunte Doppeldecker “Trams” zwischen Wolkenkratzern, Gucci-Leuchtreklamen und edlen Teehäusern von einer Shopping Mall zur nächsten.

Hong Kong. Was habe ich erwartet? Menschenmassen, Shopping, Smog, chinesisches Essen, Hochhäuser. Ich hoffte auf nur wenig Smog und wenigstens ein bisschen Natur, wollte mein Mandarin verbessern (in einer Region in der Kantonesisch gesprochen wird) und etwas Verrücktes erleben. Alle meine Hoffnungen haben sich erfüllt. Bis auf die auf Natur. Die wurde bei weitem übertroffen. Die Fläche der Sonderverwaltungszone Hong Kong besteht aus 263 Inseln und ist nur zu 25 Prozent bebaut. Jedes Wochenende – und auch unter der Woche – wanderten wir stundenlang durch Nationalparks, vorbei an Fischerdörfern und Tempeln, campten an einsamen Stränden, kletterten zu Wasserfällen und sprangen von Klippen.

Doch auch das Stadtleben steht den Erlebnissen in Hong Kongs reicher Natur in Punkten Abenteuerlichkeit um nichts nach: “Danger – deep water” warnt zum Beispiel ein Schild an einem 30cm tiefen Brunnen vor dem sicheren Tod durch Ertrinken. Das überbürokratische Hong Kong bemuttert und beschützt seine Einwohner in allen Lebenslagen. Schilder wie “No hurry – the next train is coming in only 3min” und “Hold the handrail and stand still” auf Rolltreppen verhindern zwar Hektik und Unfälle in der Rush Hour, haben jedoch die unangenehme Nebenwirkung einer sich unendlich langsam fortbewegenden Menschenmenge und eines täglichen Slalomlaufs meinerseits.

Die Bevölkerung Hong Kongs reagiert auf diesen Zeitverlust mit Gelassenheit und vertreibt sich die Reisezeit im Strom mit Handyspielen, Lernen oder dem Lesen eines Buches, was mein Leben auf der Überholspur zu einer echten Herausforderung macht, da die kleinste Unachtsamkeit meinerseits schon der Auslöser einer Frontalkollision sein kann. Die soziale Orientierung Hong Kongs resultiert auch in einer unglaublichen Hilfsbereitschaft der Bevölkerung (was in dieser verwinkelten Stadt schon mehrmals meine Rettung war) und im Tragen des – für uns Europäer so absurd aussehenden – Mundschutzes. Was in unseren Kulturkreisen so befremdlich wirkt, dient in Hong Kong dazu, andere vor einer Ansteckung an der eigenen Krankheit schützen – was bei 8 Millionen Menschen auf so engem Raum tatsächlich sinnvoll erscheint.
Genau wie dem – vielleicht etwas übertriebenen – Drang nach Hygiene, haben Hongkonger eine stark ausgeprägte Sehnsucht nach Zugehörigkeit zu einer Gruppe. So wird in China zum Beispiel immer zuerst der Nachname und dann erst der Vorname genannt. Familie sowie Freunde haben oberste Priorität, verschiedene Studentenclubs und Assoziationen halten mehrmals pro Woche Veranstaltungen und Partys, bei denen stundenlang lauthals die jeweiligen Parolen gebrüllt, geklatscht, gesungen, gekreischt und gelacht wird (und das völlig ohne Alkohol). Diese Veranstaltungen dauern oft bis tief in die Nacht hinein, was bei den durchschnittlichen 4 Stunden Schlaf, auf die Hongkonger normalerweise kommen, kein Problem ist. Schließlich kann man auch unter Tags schlafen – im Bus, in der Bibliothek, während den Vorlesungen und tatsächlich auch im Gehen. Diese Leute sind Meister im Power-Napping – und im Zuspätkommen.

Meine vier Monate sind wie im Rausch vergangen. Mein Unileben in Hong Kong wurde geprägt von Vorlesungen, bei denen ich viel über Tourismus und noch viel mehr über die – teils imponierende, teils abschreckende – Arbeits- und Denkweise von Chinesen und Hongkongern gelernt habe.
Nach einer Bootsparty im Bikini Ende November, endet mein Semester nun mit dem Eindruck von Hong Kong im Weihnachtswahn. Die ganze Stadt und sogar die Skyline sind geprägt von blinkender Leuchtdekoration, glitzernden Weihnachtsmärkten und (mehr oder weniger) wohlklingender Musik in Shoppingmalls, Supermärkten, Restaurants und sogar am Flughafen.
Den Bauch voll mit Wasabi-Weihnachtskeksen, bleibt mir nur noch eine letzte Prüfung, den Rucksack zu packen und meine vierwöchige Reise durch China zu starten.
(Der Beitrag wurde beim NFI – respect Blogwettbewerb 2016 eingereicht.)
Autorin: Carina Forster
Über Carina: Ich bin 21 Jahre alt und studiere Tourismus und Freizeitmanagement an der Fachhochschule in Krems. Schon seit ich klein war, liebe ich es zu reisen und neue Länder und ihre Schönheiten zu entdecken. Ich liebe es, in fremde Kulturen einzutauchen, Sprachen zu lernen, neue Erfahrungen zu machen und stetig mein Weltbild um ein Stück zu erweitern. Diesen Blog habe ich während meines Auslandssemesters in Hong Kong verfasst, einem Lebensraum, der mir zu Beginn völlig unverständlich war, jedoch mit der Zeit immer vertrauter wurde.