Sex am Flughafen

Reisen beginnen auf Bahnhöfen, Busstationen und Flughäfen. Meine Reise ging am überschaubaren dreigleisigen Bahnhof Knittelfeld in der Obersteiermark los, und so richtig spürbar wurde der Hauch der Ferne erst in Wien Schwechat. Trotz aller Freude und Aufregung über die bevorstehenden Monate in Indochina und mein Projekt „Tourismus und Wasser entlang des Mekong“ war mir am Flughafen aber… langweilig…
Das änderte sich schlagartig gut zwei Stunden vor Abflug nach Bangkok. Lasst mich schildern:

Normalerweise ein Ort der Langeweile: die Flughafen-Lobby (Bild: DJOtaku_flickr)
Normalerweise ein Ort der Langeweile: die Flughafen-Lobby (Bild: DJOtaku_flickr)

Wer kennt nicht Beate Uhse Läden? Der Erotikzubehör-Vertrieb wird auch in Österreich seiner Internationalität gerecht und präsentiert sich ganz in rot auf dem Flughafen Wien Schwechat – keine zehn Meter von der Passkontrolle und dem Zugang zu den Flugsteigen A1 bis A50.
Auf der Suche nach einem der spärlich gesäten Wartehallen-Sitzplätze des Wiener Flughafens, bin ich vor dem Geschäft gelandet – zufällig, so wie die meisten Kunden in Beates “Reich der Erotik” stolpern.
Zwischen Guess-Shop, Schoko-Souvenirs aus Wien und der erwähnten Passkontrolle fielen mir sofort zwei Metallbänke mit acht Plätzen auf. Sie waren alle leer, obwohl eigentlich sehr viele Fluggäste den Korridor entlangschlenderten.
Seltsam…

Nun ja, daneben befindet sich halt dieser Sexshop. „Wau, Wien ist wirklich modern und aufgeschlossen!“, dachte ich mir und nahm gleich eine ganze Viererreihe der unbequemen Eisenbänke in Besitz. Als ich nun meine leckeren Häppchen, Fleischlaberl-Sandwich und Käsekornspitz vom Billa im Untergeschoß des Airports auspackte und einen Fruchtsaft-Vitaminschub dazuschlürfte, fiel mir das Grinsen und Gemunkel vieler Fluggäste auf. War ich angekleckert? Was gibt es zu lachen, wenn jemand seine Billa-Mahlzeit zwischen Rolltreppe, Flugsteig und Erotikshop mit sichtlichem Genuss verzehrt? Oder war es dieser Sexladen nebenan, über den sich so viele Leute amüsierten? Scheint so.

„Chau si san“ sagte da gleich ein junger Chinese ganz seriös, fast steril wie in Singapur, zu seiner Partnerin. Was immer das heißen mochte, sie stieß kurz ein verschmitztes „Hihi“ aus und zog den Mann an ihrer Seite schnurgerade durch die Eingangstüre von Beate Uhse. Er versuchte sich noch dagegen zu wehren, jedoch chancenlos. Es dauerte nur Bruchteile einer Sekunde und die beiden waren ins Reich der Latex-Sinne entschwunden. Ganz unbeobachtet, ausgenommen von mir. Ich hätte nicht gedacht, wie sehr mir das Spannen hier Spaß machen würde.

Ich hatte noch immer das Kichern der jungen Chinesin im Ohr als ich schon wieder aufdringliche Worte vernahm, diesmal war es ein vertrauter Dialekt: „Schau, de hobn sogor an Beate Uhse do am Flughofn, bist narrisch!“ klang es vom Buchladen nebenan. Wie gut, dass Herr Österreicher – so nennen wir ihn einfach – in der Anonymität der Zeitschriften und Reisemagazine des Nachbargeschäftes verschwinden konnte. Ein Auge hatte er aber immer drüben bei Beate Uhse. „A so a Schmorrn…“ herrschte ihn seine Begleiterin vulgär an und zog ihn wieder zurück in den Bücherladen „Magic“. Eigentlich sollte der Sexshop Magic heißen, aber die Bilder an der roten Außenwand informieren ohnehin klar und unmissverständlich über das Warenangebot hinter der weinroten Fassade.

Mein Sitznachbar aus dem europäischen Osten stand nun auch schon das fünfte Mal auf, tat so als ob er Auslauf brauchen würde und visierte immer wieder die Augen seiner Frau an. Danach fixierte er gleich wieder die schlanke Figur der Werbeschönheit im Eingang zur erotischen Welt. Während der arme alte Mann über sein vielleicht gar nicht mehr so lüsternes Dasein sinierte, schwebten schon wieder vier Asiaten zielstrebig ins Beate-Uhse-Paradies. Sehr populär ist die Deutsche bei den Koreanern, Japanern und Chinesen.

Während die Reisenden aus dem Reich der Mitte keinen Hehl über ihre Freude an String-Tangas und Latex-Dildos machten, verhielten sich ernste westliche Geschäftsleute ganz, ganz anders. Beinahe wie Geheimagenten der CIA schlichen sie an der reizvollen Front des Uhse-Shops vorbei um bei der zweiten Inspektion unerkannt darin zu verschwinden. Unerkannt? Nicht ganz, denn spätestens beim Verlassen der Erotikwelt entlarvten sie sich durch das dunkelrote Plastiksäckchen mit amorösem Inhalt. Na hoffentlich gibts da keinen Alarm beim letzten Röntgenapparat vor dem Boarding!

Hoppla, ich muss aufpassen, dass ich nicht meinen eigenen Flug verpasse. Das hat man(n) vom vielen Spannen, verpasst glatt den Flug… Ich hatte noch nie so einen amüsanten Aufenthalt auf den kalten, harten Wartebänken eines Flughafens. Danke Beate Uhse, für ein wenig Sex am Flughafen. Und an die Leser meines Blogs: Verzeiht mir, dass mein erster Eintrag eigentlich nichts mit Tourismus und Wasser zu tun hat. Naja, zumindest nicht direkt, wenn man davon absieht, das gut der Hälfte aller Touristen das Wasser im Mund zusammen läuft, wenn sie gelangweilt zur Passkontrolle wandern, vorbei an Beate U.

Ich möchte nun auch meinen eigenen Meinungsbeitrag zum Geschriebenen leisten.
Prinzipiell bin ich sehr aufgeschlossen und habe keinen moralischen Konflikt mit den Läden von Beate Uhse. Der Standort Flughafen Wien Schwechat direkt vor der Passkontrolle ist marketingtechnisch sehr schlau gewählt. Und, ein bisschen Eigennutz war dabei, als ich feststellte, wie sehr mir das Beobachten der potentiellen Kunden des Shops Spaß bereitet hat. Die Zeit verging schnell.

Darüber hinaus gibt es sehr wohl Kritikpunkte zum Standort des Geschäfts! So mancher verachtenswerte Sextourist findet Gelegenheit, noch schnell ein paar Utensilien zu kaufen, um sich seinen Urlaub im fernen Freundenreich noch mehr  „verschönern“ zu können. Konsumenten aus Ländern des Nahen Ostens werden vielleicht dazu verleitet, sich im letzten Moment vor dem Abflug doch noch schnell Videos oder andere Produkte zu kaufen, die in ihrem Heimatland verboten sind. Das kann den Käufer womöglich vor Gericht oder gar hinter Gitter bringen. Auch Touristen von restriktiven Ländern können Probleme bekommen, wenn sie bei einer Kontrolle mit pornografischem Material erwischt werden.
Illegal ist die Eröffnung des Beate Uhse Shops auf dem Flughafen Schwechat nicht. Kritikfrei keineswegs. Ich will keine Grundsatzdiskussion lostreten, ob Erotikshops generell Berechtigung haben oder nicht. Ich bin der Auffassung, dass Verbote von erotischen Artikeln und pornografischem Material, welches im Rahmen gesetzlicher Auflagen produziert wurde, Sexualdelikte nicht stärker verhindern als eine ordnungsgemäße Freigabe des Verkaufs.

Es bedarf meiner Meinung nach aber viel stärkerer Aufklärung und aktiver Kampagnen zur Reduzierung sexueller Ausbeutung durch den Tourismus. Hier vermisse ich sehr viel Öffentlichkeitsarbeit. Und zwar von heimischen Institutionen ebenso wie von Organisationen in den betroffenen Ländern. Es gibt sicherlich gute Projekte zur Aufklärung der Touristen, erreichen sie aber wirklich die breite Öffentlichkeit?

Wie wäre es denn, wenn sich jemand der Aufgabe widmen würde, den Beate Uhse Vertrieb davon zu überzeugen, sich offen und massiv gegen Sextourismus zu bekennen. Eine erste derartige Maßnahme könnte das Anbringen eines großen Banners auf der langen, verdunkelten Frontscheibe des Beate Uhse Ladens am Flughafen sein. Aufschrift in mehreren Sprachen: „Sextourismus ist eine Schande!“
Es wären auch Hinweise im Laden selbst nötig, die Käufer von Artikeln dezitiert vor der Überschreitung gesetzlicher Grenzen in vielen Ländern der Erde warnen. Einschließlich einer Liste der Länder und verbotener Produkte. Letztere Maßnahme könnte dem erotischen Vertrieb vielleicht sogar behördlich aufgebunden werden – auf Grund des kritischen Standorts Flughafen Wien Schwechat und der damit verbundenen Gefahr der Rechtsüberschreitung durch “unwissende” Touristen. Rechtliche Möglichkeiten zur Implementierung müßte sich ein Jurist mit dem entsprechendem Fachwissen ansehen.
So sind beispielsweise in Thailand, einem der meist betroffenen Länder von Sextourismus, pornografisches Material und sogar diverse Utensilien wie Latexdildos verboten! Warnungen allein können Täter schon abschrecken.
Besserung wird es nur durch offene Diskussionen geben, nicht durch Verbote.

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