Man hört immer „Rettet den Wald!”, „Rettet die Natur!“, „Rettet den Fluss!“. So soll es auch sein. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass die Straße einer unserer wichtigsten Lebensräume ist. Vom Metropolen-Boulevard bis in die Kleinstadtgasse leben die meisten Menschen in eng gebauten Häusergalerien. Vorne draußen herrscht Parkplatzmangel, Lärm und Gestank. Ganz einfach ausgedrückt: Unbehaglichkeit. So wie die Bewohner der Asphaltzeilen in Unzufriedenheit schwelgen, fühlen sich auch Touristen in dieser gesichtslosen Umgebung selten wohl. Thailand ist da nicht anders als Europa. Tja, wir sind selber schuld. Wir lassen unsere Städte (un)bewusst sterben.

Heute Morgen schwang ich mich aufs Fahrrad um Kanchanaburis Straßenwelt zu erkunden; die Wasserwelt des berühmten River Kwai ist für den Monat August reserviert. Auf der Suche nach einem zweiten Frühstück landete ich dabei im hübschen neuen Kaffeehaus „Sitthi Sang“ . Das Besondere an diesem Haus: Die Gemäuer sind 89 Jahre alt, aber wunderbar renoviert. Das Cafe liegt 100 Meter nördlich des Kanchanaburi Stadttores (Pratu Mueang in Thai) in der „Thanon Pak Phraek“. Frei übersetzt könnte man sagen „Straße vor den Toren der Stadt“. Vor einigen Jahren dachte ich bereits mit Wehmut an die langsam verfallenden Kulturgüter dieser Straße. Langweiliger Beton würde irgendwann die maroden Ziegel- und Holzgebäude völlig ersetzen.

Das Gleiche muss sich auch Herr Wichai Lawsiri, ein einflussreicher Geschäftsmann und Mitglied des Kanchanaburi Tourism Board, gedacht haben. Er ist nicht nur Besitzer des River Kwai Hotels und des Kaffeehauses „Sitthi Sang“, sondern auch Initiator eines Rettungsprojektes für die 177 Jahre alte Pak Phraek. Auf der Markise eines Ladens in der Straße erblickte ich auch den Werbespruch seiner Aktion: „Give the Road a Break. Keep the Community Alive“. An Samstagen und Sonntagen, jeweils zwischen 16 Uhr und 22 Uhr, verwandelt sich die sonst stark befahrene enge Straße in eine Fußgängerzone mit lokalem Markt. Von Handarbeiten und T-Shirts bis zu fritierten Bananen wird dann Unterschiedlichstes auf der Straße verkauft. Das zieht nicht nur Einheimische sondern auch Touristen an. Auf zwei kleinen offenen Grundstücken in der Pak Phraek wird abends Live-Musik gespielt und Tanzgruppen sind zu bewundern. Autoabgase und Motorenlärm werden dann vom Geruch brutzelnder Leckereien und thailändischen Klängen abgelöst.
Vor einer Woche hat sich auch die hiesige Stadtverwaltung an das Projekt von Herrn Wichai angeschlossen. Geld ist leider kaum vorhanden, aber mit Arbeitskraft will man helfen. Was genau das heißt, weiß zur Zeit noch keiner in der Straße. „Ach, das wird sich schon irgendwie entwickeln, viel Hoffnung hab ich aber nicht“, ätzte ein Gast im Sitthi Sang, als er mir beim Gespräch mit der Managerin zuhörte.

Nach meinem zweiten Cappuchino entschloss ich mich zu einer kleinen historischen Recherche „per pedes“ in der Pak Phraek. Ich wollte nun mehr wissen. Dazu klapperte ich gut ein Dutzend alter Gebäude ab und löcherte die Bewohner mit meinen Fragen.
Frau Somjing, eine pensionierte Lehrerin, erzählte mir von den ersten Zuwanderern der Straße um 1830. Es waren Vietnamesen, keine Flüchtlinge jedoch, sondern Händler und deren Arbeiter. Vor etwa 180 Jahren war Kanchanaburi nur auf dem Wasserweg erreichbar. Zwischen der neu gebauten Stadtmauer und dem Fluss entstand ein Umschlagplatz für all die importierten und zu exportierenden Waren. Lagerhäuser und Läden wurden errichtet, die Pak Phraek, Straße vor den Toren der Stadt, war geboren. Die Immigranten waren Buddhisten und so baute man an einem Ende der neuen Straße einen Tempel, der heute im Volksmund noch immer „Wat Yuan“ genannt wird – „Tempel der Vietnamesen“. Es existieren auch noch zwei kleine chinesische Tempel inmitten der Läden der Pak Phraek.

Die meisten historischen Gebäude der Pak Phraek und ihrer Seitengassen sind 80 bis 100 Jahre alt. Älteres wurde vermutlich durch Überschwemmungen oder Feuer zerstört. Die ein Kilometer lange Straße beherbergt heute über 100 kleine Geschäfte, viele davon in alten desolaten Häusern. Daneben fand ich das aufgelassene „Kanchanaburi Hotel“ und ein weiteres ehemaliges Gästehaus, in welchem japanische Besatzungssoldaten im Zweiten Weltkrieg für 1 Baht pro Zimmer übernachteten. Das wiederum erzählte mir die heutige Besitzerin der großen Holzvilla. Ihr Holzgebäude ist einigermaßen gut in Schuss. Am nördlichen Ende der Pak Phraek fristet ein Herrenhaus ein nicht so glückliches Dasein. Es ist unbewohnt und nur mehr mit riesigem Aufwand zu retten. Der Nachbar schüttelte nur den Kopf: „Die Besitzer sind in Bangkok, haben kein Geld und das schöne Haus verfällt“.

Eine andere Straßenbewohnerin zeigte mir einen alten Zeitungsartikel mit den Daten der Besuche früherer Könige in der Pak Phraek: König Rama IV kam im Jahr 1865, Rama V 1873, 1877, 1888 und 1909. Gemessen an den damaligen Reiseschwierigkeiten in den Tropen waren dies häufige Besuche. „Besonders Rama V, Chulalongkorn, reiste anonym und unter das Volk gemischt. Er war sicher öfter hier als offiziell anerkannt wird“, meinte die ältere Dame überzeugt und zeigte mir eine Kopie eines ausgebleichten Bildes von einem Mann in einfacher Kleidung. Der sah wirklich aus wie König Rama V. Ich durfte das alte Zelluloid mit einem offiziellen Bild des Herrschers vergleichen. Langsam begann ich die Signifikanz dieser einfachen Geschäftsstraße zu erkennen, und auch die Liebe der Bewohner zu ihr.
Herr Wichai Lawsiri, der selbsternannte Straßenretter, denkt daher auch an die zukünftige Renovierung der alten Strukturen. Dem Tourismus und der Straßengemeinschaft kann es nur dienlich sein. Der lange Weg zum nachhaltigen Ziel ist jedoch gepflastert von Geldmangel und sogar Desinteresse mancher anderer Bewohner. Sie können nicht erkennen, wie ein neues Dach und etwas Farbe am alten Holzhaus Geld durch Tourismus bringen soll. Herr Wichai ist aber ein zielstrebiger Zeitgenosse und weiß wie man Skeptiker überzeugen kann, zur Rettung der Pak Phraek.