In den letzten zwei Wochen habe ich viele Stunden damit verbracht, als Landratte an den Ufern des Mekong zu sitzen und in Gedanken mit vorbeituckernden Booten von dannen zu ziehen. Egal ob Nussschale oder 200-Registertonnen-Frachtkolloss, ich wäre am liebsten mit jedem einzelnen mitgefahren, wenigstens bis um die nächste Flussschleife, hinter der sie langsam verschwanden. Einzig die marine Subspezies Speed Boat übte keinerlei Anziehungskraft auf meinen fluvialen Reisedrang aus, und das aus gutem Grund:

Vor etwa 8 Jahren wurde ich als Reiseleiter zu einer ganztägigen Fahrt auf dem Hochwasser führenden Mekong verurteilt. Der Reiseplan von Huay Xai nach Luang Prabang in Laos war festgelegt und damit auch der Höllenritt über gewaltige Stromschnellen. Im Slalomstil umfuhren wir die riesigen im Wasser driftenden Baumstämme, welche der Mekong weiter oben von den Uferbänken losgerissen hatte. Wir, das waren meine Gäste und ich, hatten damals das zweifelhafte Vergnügen, uns zu zweit jeweils nur ein 160-PS-Gefährt teilen zu müssen. Unser Luxusbudget machte es möglich. Wer billiger zu reisen pflegte, wurde mit bis zu 7 anderen Personen und deren Taschen und Rucksäcken in ein Schnellboot gepfercht. Daran hat sich bis heute nichts geändert und vermutlich ebenso wenig an der Unfallstatistik. Sollte man mit einem dieser Sperrholzboote aus thailändischer Produktion bei satten 80 km/h Reisegeschwindigkeit einen dahintreibenden halb abgesoffenen Baum treffen, helfen auch Schwimmweste und Sturzhelm nicht mehr viel. Einmal im Wasser, kann man bloß noch hoffen, dass man nicht von einem der unzähligen Strudel im Fluss in die Tiefe gezogen wird. Es können aber noch ganz andere Gefahren für BenützerInnen von Schnellbooten auftauchen. Das verdeutlicht ein Schreiben von jungen Tramperinnen, das mir in einem Reisebüro in Chiang Khong vor wenigen Tagen in die Hände fiel. Ihr könnt die Abschrift im Anhang zu diesem Artikel lesen.
1. Tag: Huay Xai nach Pak Beng, 145 Kilometer
Mit all diesen Horrorszenarien im Kopf fiel mir die Entscheidung zur bevorstehenden Art der Weiterreise auf dem Mekong leicht: Slow Boat

Von bisherigen Reisen in Laos wusste ich, dass es nie falsch war, etwas früher beim Bus zu sein, um nicht auf dem Boden zwischen den Sitzreihen zu landen. Warum sollte es sich bei Booten anders verhalten?! Als ich fast zwei Stunden vor planmäßiger Abfahrt am Pier ankam, waren schon einige Leute an Bord des Bootes Nr. 042 und hatten sich die bequemsten Plätze geschnappt. Ich hatte dennoch großzügige Auswahl unter den übrigen 80 oder mehr Sitzplätzen und entschied mich für den vorderen Teil des Bootes. Hinten, war meine Annahme, würden nur Motorengeräusche stören und fürs Fotografieren war ich vorme auch in besserer Position. Ich legte als Zeichen meiner Sitzplatzreservierung ein paar Kleinigkeiten auf die hölzerne Bank und ging wieder von Bord. Beim neugierigen Inspizieren der anderen Boote fiel mir auf, dass die höchstzulässige Beladung eines anderen Passagierschiffes Marke Slow Boat mit 5 Tonnen gekennzeichnet war. Ich begann zu rechnen: 100 Passagiere mal 80 Kilogram inklusive Gepäck = 8000 Kilogramm, womöglich sogar mehr. Naja, die Busse waren in Laos auch nie unterbeladen und kamen auch immer an…
Langsam sickerten immer mehr Passagiere ein, zum Großteil Rucksacktouristen wie ich. Daneben kamen auch ein paar schlanke Thais und Laoten, die den potentiellen Zuladungsüberschuss wieder senkten. Das Gepäck wurde unter dem lackierten, edlen Rotholzboden im Stahlrumpf unseres gut 35-40 Meter langen und 4 Meter breiten Bootes verstaut. Was dort nicht Platz hatte, wurde in einer Frachtnische im Heck gestapelt. Als die Crew dann noch Kaffeekannen, Limo und Unmengen von Snacks daherschleppte, waren wir offensichtlich bereit zum Ablegen. Für die 145 Kilometer lange Fahrt von Huay Xai nach Pak Beng waren 6 Stunden veranschlagt, das variiert jedoch sehr stark mit dem Wasserstand und der damit verbundenen Fließgeschwindigkeit des Mekong.
Als wir mit nur 10 Minuten Verspätung kurz nach 11 Uhr losfuhren, waren beinahe alle Plätze gefüllt. Zu mir gesellte sich eine spätberufene 66-jährige Tramperin aus Australien, die zum ersten Mal in Südostasien unterwegs war. Rund um uns waren mehrere junge Leute aus Holland und Frankreich. Gemeinsam mit ihnen bildeten wir eine Clique von Naturbewunderern und Fotografen. Damit konnten unsere britischen und amerikanischen Weggefährten auf den gegenüberliegenden Sitzbänken nur wenig anfangen. Mit mindestens 20 Flaschen und ebenso vielen Dosen laotischen Bier, weiteren 5 Litern kalifornischen Wein aus der Tetrapackung und einer Sicherheitsreserve thailändischen Mekong-Whiskeys, richteten sich die anglofonen Tramps für eine feuchtfröhliche Mekong-Kreuzfahrt ein. Der gesunden roten Färbung ihrer Nasen nach zu richten, dürfte bereits ihr Frühstück nicht ganz alkoholfrei gewesen sein…

Die ersten 30 Kilometer schipperten wir langsam entlang der thailändisch-laotischen Grenze bis zu den Stromschnellen Keng Pha Tang, wo der Fluss Thailand zur Gänze verlässt. Von mancherorts über einen Kilometer Breite schrumpft der Mekong hier auf unter 200 Meter zusammen und ist durchsetzt mit schroffen, schwarzen Basaltriesen aus der vulkanischen Vergangenheit der südostasiatischen Kontinentalplatte. Die Steuerkünste unseres Bootskapitäns waren hier erstmals gefragt. Dem Anschein nach kannte er aber jeden Meter der Flussbettlandschaft und das einzige, was hin und wieder am Rumpf des Bootes entlangschliff, war ein Stück Treibholz, das einfach nicht zu umfahren war. Die überfluteten Felsen konnte unser Fährmann mit seiner Erfahrung und scharfen Augen an den Wirbeln und unruhigen Strömungen im Fluss ausmachen. Seine kompetente Ruderführung verlieh mir die Ruhe für den vollen Genuss dieser grandiosen Landschaft. Was ich nicht mit meiner Kameralinse einfangen konnte, blieb dennoch als bildlicher Eindruck in meinen grauen Zellen gespeichert.

Während der fast siebenstündigen Fahrt des ersten Tages legten wir auch einige Male bei kleinen Dörfern an, um laotische Passagiere aufzunehmen oder abzusetzen. Fast überall waren ein paar Kinder und Frauen mit Früchten und Fischen am Ufer, um die Waren an die Crew oder Fahrgäste zu verkaufen. Beim zweiten Anlegen nahm die Kapitänsfrau dies auch zur Gelegenheit, ein paar Fische zu erstehen. Die noch zappelnden Tiere durften von nun an in einer großen, wassergefüllten Plastikschüssel auf der Bootstoilette mitfahren. Ich konnte meine Schadenfreude kaum unterdrücken, als eine sehr knapp bekleidete und schon leicht „angeheiterte“ junge Amerikanerin aus der Alko-Clique die Tür zum stillen Örtchen aufmachte und einen Kreischer ausstieß, den selbst der Kaptiän am anderen Ende seines Bootes noch lautstark vernahm. Sein Schmunzeln danach kam nicht überraschend, obwohl er sicher schon viele derartige Kulturschocks von weitgereisten Bleichgesichtern gesehen haben muss.
Kurz vor Sonnenuntergang erreichten wir und die drei Fische sicher und lebendig das Etappenziel Pak Beng, ein Dorf, das zur Hälfte aus Hotels und Restaurants besteht und zur anderen Hälfte aus ein paar einfachen Holzhütten mit Blechdach. Ich schwang mich schon sehr früh ins überraschend saubere Bett meines 6-Dollar-Gästehauses, während die Fische wahrscheinlich auf dem Griller der Bootsbesatzung landeten. Dass die Generatoren der kleinen Ortschaft schon kurz nach zehn Uhr abends abgeschaltet wurden, störte sicher niemanden. Ein Teil der Passagiere war zweifelsohne müde vom langen Sitzen und den vielen schönen Eindrücken, der andere Teil hatte sich schlichtweg in den bewusstlosen Schlaf getrunken. Prost und Gute Nacht.
2. Tag: Pak Beng nach Luang Prabang, 165 Kilometer
Es erwies sich auch am zweiten Tag wieder als Vorteil, ein gutes Stündchen zu früh am Pier zu erscheinen. Wie von innerer Eingebung geleitet, kamen fast alle Mitglieder der Clique „Natur“ bereits um 8 Uhr morgens zum Boot und platzierten sich wie ich im vorderen Teil des Passagierraumes. Die erst knapp vor Abfahrt um 9 Uhr auftauchende Clique „Beer Lao“ war damit in den hinteren Bereich des Bootes verbannt. Das war nicht einmal ganz zu ihrem Nachteil, denn die kleine Bootsminibar mit Snacks und noch mehr Bierreserve befand sich genau dort.

Die Fahrt im diesmal etwas besser ausgestatteten Boot Nr. 085, wir hatten Sitzkissen auf den einfachen Holzbänken, begann nicht weniger spektakulär als am Vortag. Eine Serie von drei wilden Stromschnellen ließ mein Herz um einiges schneller schlagen. Der neue Kapitän meisterte die unruhigen Momente aber mit ebenso kühler Perfektion am Ruder, wie sein Kollege am Vortag. Zur bizarren Landschaft des Mekongtales gesellten sich heute auch noch sehr viele Fischer entlang der Ufer und in strömungsfreien Plätzen hinter mächtigen Basaltfelsen. Sie alle ließen sich durch den leichten Dauerregen nicht davon abhalten, ihre Netze in den Strom zu hängen.

Vollkommenes Erstaunen erweckten in mir aber mehrere Goldwäscherinnen an der flachen Flussböschung. Obwohl wir mit unserem Slow Boat verhältnismäßig rasch an ihnen vorbeiglitten, konnte ich doch einen kleinen Eindruck ihrer mühsamen Arbeit mit den großen Waschpfannen gewinnen. Auch sie trotzten dem keineswegs warmen Regen mit endloser Geduld und einem Lächeln für uns wohlbehütete, verwöhnte Tramperschar im überdachten Boot. An der jämmerlichen Kleidung auf ihrer Haut konnte ich jedoch erahnen, dass die Mengen des gewaschenen Goldes hier am Mittellauf des Mekong sicher keinen Goldrausch auslösen würden.

Während der gesamten 9-stündigen Fahrt dachte ich immer wieder an die Konsequenzen weiterer Staudammbauten für die lokale Bevölkerung entlang des wilden Mekong. Die wenigen flachen Uferzonen in diesem tief eingeschnittenen Tal würden vollkommen den aufgestauten Wassern eines Stausees weichen, ohne auch nur einen einzigen Vorteil für die Bewohner der Region zu bringen. Die Flutung der einzigartigen Flusslanschaft würde vermutlich auch das touristische Potential der Region mit einem Schlag verändern. Daran hat in der ASEAN (Association of South East Asian Nations) aber offensichtlich ohnehin noch niemand gedacht. Erst heute fiel mir auf einem ASEAN-Werbeplakat mit über 100 touristischen Zielen innerhalb der ASEAN-Zone auf, dass der Mekong nicht ein einziges Mal gesondert als Attraktion genannt wurde. Nicht einmal die 4000 Inseln und gewaltigen Stromschnellen an der laotisch-kambodschanischen Grenze waren als sehenswertes Ziel auf der großen Karte eingezeichnet. Ich werde das Gefühl nicht los, dass die Anrainerstaaten des Mekong den Fluss als unikates touristisches Ziel nicht wirklich propagieren wollen, um dann nicht in den Konflikt zu geraten, den Mekong für Reisende bewahren zu wollen und für Staudammprojekte gleichzeitig opfern zu müssen.

Nach insgesamt 16 Stunden ging meine Reise mit dem Slow Boat in Luang Prabang vorerst zu Ende. Die einmaligen Eindrücke wiegen genauso schwer wie die Furcht einer Zerstörung des schönen Flusses. Ich hoffe, es war nicht meine letzte Fahrt von Huay Xai nach Luang Prabang und ich würde mir wünschen, dass mehr Reisende vor allem mit offeneren Augen diese Fahrt absolvieren. Der Mekong verdient den Respekt aller, die ihn benützen, egal ob Fischer, Bootsfahrer, Goldwäscherin oder Tourist.
Impressionen von der Flussfahrt und des Mekong: The Mekong River

Anhang:
Abschrift des Briefes der Touristinnen, die mit dem Speed Boat Probleme hatten:
28 june 2009
To whom it may concern
We paid 500,000 Kip (…2000 Baht/45 Euro) each to Luang Prabang Travel and Tours Somxay tour on the 26/06/09 to go fast by speed boat and minivan to Chiang Mai from Luang Prabang on the 27/06/09.
On the 27/06/09 we take the speed boat at 8 a.m, many troubles with the motor, at 15h (3 p.m) in Pak Beng the driver say: if you want to go to Houay Xai pay 2000 bats (…Baht) more, they want to fight, we pay.
At 7 pm in a little port they say now we sleep here. We sleep there, with a man who masturbate in the bed near us, another with a gun.
On the 28 am we finally arrive to Houay Xai at 9.30 am.
And now in the thai coast (…on Thai side of the river) no van for us. We take local bus not a van. We paid for and the travel agency refuse any responsibility for this situation.
MALAVARD Stephanie, France, signed
Dallaire Nadia, France, signed
Copies of Passports of both ladies attached to the letter