Nach ein paar ruhigen Tagen in Bangkok bin ich wieder unterwegs. Diesmal allerdings nicht individuell, sondern als stiller Teilnehmer einer Ökotour. Mein langjähriger Freund Mark Ord von AllPointsEast Travel hat mir die Möglichkeit gegeben, als „Beobachter“ bei seiner Südlaos/Kambodscha-Tour entlang des Mekong mitzufahren. Die Tour startete am 30. Juli in Khong Jiam an der thailändisch-laotischen Grenze und wird Mitte August in Phnom Phen enden. Nach zwei verregneten, aber erlebnisreichen Tagen auf der Thai-Seite des Mekong, betraten wir am 1. August laotischen Boden.

Es ist erst 10 Jahre her, dass Laos seine Grenze zwischen der südlichen Provinz Champasak und Nordost-Thailand für westliche Touristen nach Jahrzehnten wieder geöffnet hat. Die Grenzübergänge nach Kambodscha noch weiter im Süden waren ähnlich lange geschlossen und sind nun ebenfalls offen. Dementsprechend jung ist der Tourismus auch in dieser Region. Der Straßenbau und die damit verbundene Öffnung dieser ländlichen Gegend entlang des Mekong schreiten jedoch mit rasantem Tempo voran. Sehenswürdigkeiten wie die Ruinen des Khmer-Tempels Wat Phu bei Champasak oder die 4000 Inseln und Mekong-Wasserfälle an der Grenze zu Kambodscha sind bereits mit wenig Aufwand erreichbar. Kleine abgelegenere Dörfer sollten durch die verbesserte Infrastruktur eigentlich auch zunehmend profitieren. Leider sieht der Alltag aber oft anders aus.
Viele Straßen und Wege wurden lediglich verbessert, um legal oder illegal geschlägertes Holz aus den einst riesigen Wäldern von Südlaos abzutransportieren, oder Zugang zu anderen natürlichen Resources zu schaffen. Wiederum andere Straßen wurden einmal planiert und dann nicht mehr gewartet. Touristen werden zwar auf diesem neu entstandenen Verkehrsnetz befördert, aber nur wenige Abenteurer und Naturliebhaber verschlägt es in die wirklich einsamen Dörfer der zahlreichen ethnischen Minderheiten der Provinzen Champasak, Xekong, Attapue und Salavan.

Wer die Fahrt in die Abgeschiedenheit wagt, braucht natürlich auch einen Ort zum Übernachten. Manchmal ist es gar nicht so einfach, nach der komplizierten Anreise in eines der Dörfer auch ein Bett und eine Dusche zu finden. Das Homestay-Konzept ist hier noch nicht so verbreitet wie im benachbarten Thailand. Zum Glück gibt es neben den Tramper-Abenteurern aber auch einige Geschäfts-Abenteurer. Der Italiener Massimo Mera ist ein solcher. Mit seiner Kingfisher Ecolodge hat er nicht nur eine Unterkunft und Basis für sein eigenes Einkommen geschaffen, sondern auch den Bewohnern seines Wahlheimatdorfes Kiet Ngong die Möglichkeit der Teilnahme am Tourismus geöffnet. Kiet Ngong liegt 60 Kilometer südöstlich von Pakxe am Rande der Xe Pian National Protected Area. Massimos 10 Bungalows stehen weit verteilt auf Stelzen am Rand eines ausgedehnten Sumpfgebietes südlich des 900-Einwohner-Dorfes. Kiet Ngong heißt übrigens “verwirrter Frosch”. Dort hat Massimo 7 Hektar Feuchtgebiet und steinigen Sekundärwald (= was nach einstiger Schlägerung nachgewachsen ist) vom Staat für 20 Jahre mit Verlängerungsoption gemietet. Zur Zeit – es ist der Höhepunkt der Regenzeit – steht das Wasser bis an den Rand der Bungalows und die gesamte Umgebung wird nachts vom Quaken tausender verwirrter Frösche beschallt. Der Gesang ist konzertreif, das kann ich nach drei Nächten ohne Zweifel bestätigen. Überraschenderweise gibt es aber kaum Moskitos. Dafür sollte man einen Spaziergang in den Sumpf besser nicht wagen. Millionen Blutegel warten dort sehnsüchtig auf frische Tramperbeine.
In der Regenzeit kann das Feuchtgebiet mit kleinen Booten unter Zuhilfenahme einer Bambusstange befahren werden. Besonders am Rand des temporären Gewässers, dort wo wieder der Wald beginnt, kann man mit etwas Glück seltene Vogelarten beobachten. Ich sah am zweiten Tag meines Aufenthaltes nachmittags einen Habicht beim Beutefang, direkt vor meinem Bungalow. Mister Kham, der Manager der Kingfisher Ecolodge, hat mir die Vielzahl der Tierarten vor der Haustür der Lodge bestätigt. Er hat in den letzten 3 Jahren 105 Vogelarten im Feuchtgebiet und desses näherer Umgebung bestimmt.

Neben viel Natur wartet auf die Besucher von Kiet Ngong aber auch noch ein anderer interessanter Ort. Phu Asa ist ein etwa 250 Meter hoher Berg wenige Kilometer außerhalb des Dorfes. Knapp unter dem Gipfel befinden sich die Ruinen eines Tempels. Dessen Geschichte ist jedoch ebensowenig bekannt, wie die Herkunft seiner Erbauer. In manchen Büchern werden die Ruinen als Wehranlage aus dem 19. Jahrhundert beschrieben. Die lokale Bevölkerung spricht aber von einem viel älteren buddhistischen Heiligtum. Eingehend erforscht wurde der Ort aber bis heute nicht. Ich selbst fand in der Umgebung des Tempels Tonscherben und kleine Bruchstücke handbemalten Porzellans. Sie dürften aus sehr unterschiedlichen Epochen stammen. Ein Archäologiestudent, der auch im Ecolodge übernachtete, teilte meine Meinung, dass zwei schwarze Tonscherben mit großer Wahscheinlichkeit über 1000 Jahre alt sein mussten. Massimo vom Lodge hat mir dann versprochen, die Scherben einer befreundeten italienischen Archäologin in Pakse zu geben.

Zurück zum Dorf. Die Familien von Kiet Ngong profitieren im Prinzip alle von Massimos Geschäft. 5 Prozent des Umsatzes aus Trekkingtouren, Elefantenreiten und anderen Aktivitäten gehen an die örtliche Schule. Dann gibt es noch lokale Trekkingführer und Elefantenbesitzer, die ihr Geld auch durch die angebotenen Ausflüge verdienen. Und natürlich sind einige junge Frauen und Männer direkt im Kingfisher Ecolodge in der Küche, als Hausmädchen und als Gärtner angestellt.

Pro poor tourism funktioniert in Kiet Ngong bestens und könnte als Beispiel für so viele andere Orte dienen.
Es gibt aber auch Resortbesitzer, die unter pro poor tourism etwas ganz anderes verstehen. Während Massimo Mera den Tourismus ins Dorf bringt, bringen sie die Dorfbewohner zum Touristen. Wie das funktioniert, werde ich gleich erklären. Der thailändische Besitzer des Pha Suam Resorts am Rande des Bolaven Hochlands hat auf seinem weiten Areal Hütten ethnischer Minderheiten nachgebaut. In diesen Holz- und Bambushäusern präsentieren sich nun einheimische Menschen in ihrer Tracht. Sie verkaufen Webereiprodukte und spielen für Touristen traditionelle Musik. Ein schönes Konzept, würde man meinen. Interessanterweise sehen manche der 20 Dorfbewohner aber überhaupt nicht glücklich aus. Besonders dann nicht, wenn man sie fotografiert und keine „Spende“ hinterlässt, oder nichts kauft. Als ich vor ein paar Tagen durch den schön angelegten Garten mit Hütten der verschiedenen Ethnien wanderte, wurde ich das Gefühl nicht los, mich in einem Zoo zu bewegen…

In einem offenen Gemeinschaftshaus beispielsweise saßen 5 Kinder, die sofort aufsprangen und zu Musikbegleitung tanzten, sobald sich ein Tourist näherte. Auf dem Fußboden stand eine Bambusschale, aus der ein paar 1000 und 2000-Kip-Scheine lachten (1000 Kip sind etwa 8 Eurocent). Anstatt den Spendentopf weiter aufzufüllen, stellte ich den Kindern ein paar Fragen in gebrochenem Laotisch. „Dekdek yuu huean nai?“ – „In welchem Haus wohnt ihr denn?“ Ich bekam zu hören, dass die JungtänzerInnen weder im Resort wohnten, noch von ihren Eltern begleitet wurden. Wer genau sie hierher beorderte, wussten die sieben- bis zwölfjährigen Kids auch nicht so genau. Sie kamen einfach mit erwachsenen Dorfbewohnern zur Arbeit und wurden abends wieder nachhause gebracht. Einkommen hatten sie wissentlich keines. Was im Topf landete, mussten sie daheim abliefern. Klar, dass ihre Vorführung nicht besonders begeistert aussah.
Kinderarbeit im Tourismus hat noch eine dunkle Facette: Sie kann den Nährboden für pädophilen Tourismus bilden. Im Pha Suam Resort ist das ausgeschlossen, da sich Erwachsene aktiv um die Kinder kümmern. In Großstädten ist die Situation aber viel bedenklicher. Minderjährige arbeiten dort in Restaurants bis spätnachts oder verkaufen unbeaufsichtigt Souvenirs an Touristen. Eine Organisation, die sich dieser Probleme annimmt, ist ECPAT. ECPAT steht für “End Child Prostitution, Child Pornography and Trafficking of Children for Sexual Purposes”. Die Organisation ist weltweit tätig und kooperiert bereits mit vielen Reiseveanstaltern.Zurück ins Ethno-Dorf: Zwei ältere Männer, die traditionelle Instrumente spielten, konnten oder wollten mir auch keine Auskunft geben, wie sie für ihre Anwesenheit bezahlt bekommen würden. Lediglich die Weberin am Dorfeingang erklärte mir, wie es bei ihr funktionierte: „Das Resort kauft Webgarne und ich produziere und verkaufe die Stoffe an Touristen. Aus dem erhaltenen Geld bezahle ich dann die Grundmaterialien. Der Rest gehört mir.“ Ein faires Geschäft.Trotzdem wusste ich auch nach Verlassen der Anlage nicht recht, ob ich dieses lebende ethnologische Museum positiv oder negativ betrachten sollte. Es hat wohl zwei Seiten, wobei die positive überwiegen dürfte. Viele Reisegruppen haben einfach nicht die Möglichkeit, abgelegene Dörfer zu besuchen. Das Ethno-Dorf im Resort kann dazu beitragen, das Verständnis für die unterschiedlichen Minderheiten in Südlaos wachzuhalten. Besser wäre es vielleicht, wenn eine ganze Dorfgemeinschaft ihre Produkte anbieten könnte und nicht bloß einzelne Personen. Die tanzenden Kinder schaden dem Image des eigentlich hübschen Resort-Dorfes aber garantiert.

Wie weit die Meinungen zu solchen Projekten auseinandergehen, zeigten mir auch die unterschiedlichen Haltungen von Ökotourismusspezialisten. Während Massimo Mera ein Schaudorf wie das Pha Suam Resort grundsätzlich ablehnt, sieht Öko-Reiseleiter Jean-Daniel Schranz aus der Schweiz das Dorf im Resort als sehr gute Idee. „Die Leute im Dorf können ihre ethnischen Traditionen mit Stolz präsentieren“, sagt Jean Daniel, „und damit ist auch sichergestellt, das diese Traditionen erhalten bleiben. Außerdem machen sie es ja nicht umsonst, sondern bekommen auch Geld für ihre Arbeit. Viele richtige Dörfer von Bergstämmen empfangen auch Touristenmassen und die Menschen dort müssen sich fotografieren lassen, ohne etwas davon zu haben.“ Jean-Daniel hat Recht, auch dieser Aspekt darf nicht übersehen werden.
Morgen werde ich den schönen Ort der verwirrten Frösche wieder verlassen und weiter entlang des Mekong ins Gebiet der 4000 Inseln reisen. Ich bin schon gespannt, was mich dort alles erwarten wird.
