
„Warum halten wir schon wieder?”, wundert sich mein Sitznachbar Justin, „oder sind wir schon da…?“ Das wäre echt super, wir sind vor nicht mal 20 Minuten vom Bahnhof Hua Lampong in Bangkok abgefahren. Justin und ich haben das gleiche vorläufige Ziel: Chiang Mai in Nordthailand, nur, dass ich dann noch einen halben Tag länger mit dem Bus unterwegs sein werde. Mein Endziel ist Chiang Saen am Mekong. Draußen wirds gerade finster und wenn wir morgen in Chiang Mai ankommen, ist es schon Frühstückszeit. „15 Stunden, eine ganze Nacht…“, sage ich zu Justin, „…dann sind wir da!“ 750 Kilometer sind es bis in die alte Königsstadt im Norden.

„Aber warum macht der Schaffner heute die Betten nicht?“; ich muss lachen, Justin macht sich ernsthaft Sorgen um unser Wohl. „Jetzt wird erst mal gegessen!“, befiehlt die Mutter dem jungen Thai-Tramp. Justin ist gerade vier geworden, aber ein Profi wenns ums Bahnfahren geht. „Ich will nicht mit dem Bus fahren, da gibt es keine Kellner!“, überzeugt mich der kleine Mann und zeigt mit dem Finger auf einen Schaffner, der gerade ein paar Snacks vorbeibringt.

„Schläfst du lieber oben oder unten?“, frage ich meinen kleinen Reisegefährten. „Oben, ich kann dann raufklettern und runterschauen auf euch, yippie!“ In den Schlafwagen der zweiten Klasse werden die Betten um etwa 21 Uhr aufgezogen, auch zeitlicher, wenn man es möchte. Es gibt dann frische Überzüge, steril verpackte Decken und saubere Kissen. Zirka 190 x 90 Zentimenter hat das untere Bett, das obere ist ein bisschen schmäler, groß genug für Justin, meine ich. Ich bin lieber unten, denn im Obergeschoß zieht mir die eiskalte Luft der Klimaanlage um die Ohren – trotz Vorhang. Schlaue Bahnfahrer kaufen sich vor Reisebeginn eine Zeitung, die sie dann zu langen Würsten knüllen und in den 4 Zentimeter breiten Spalt zwischen Vorhangstange und Klimaanlagendüsen drücken. Oder sogar ein Malerklebeband, das sich leicht wieder ablösen lässt. Ein langes Handtuch erfüllt den selben Zweck. Dann zieht es nicht mehr wie in einem Vogelhaus im Winter.
Schräg hinter mir sitzt noch ein Ausländer oder „Farang“; so nennen die Thailänder uns Europäer manchmal scherzhaft. Der Spitzname Farang entstand, als die ersten Ausländer vor 400 Jahren Thailand erreichten – viele von ihnen waren Franzosen. Die Thais konnten „Francaise“ nicht aussprechen und nannten die Neuankömmlinge einfach „Farangset“ , daher der Spitzname. Mein Nachbar, der Farangset, ist ziemlich dünn bekleidet. Er ist kein Profi im Zugfahren in Thailand. Justin und ich wissen, wie bitterkalt es nachts in den Zügen wird, brrrrr. Keine 18 Grad hat es manchmal, denn egal was das Thermometer draußen anzeigt, die Klimaanlage läuft immer auf vollen Touren. Ich habe schon die Sportjacke und dicke Socken angezogen und es wäre nicht so falsch gewesen, eine Pudelmütze einzupacken. Mister Farangset gegenüber friert schon, ich sehe es deutlich. Er ist zwar noch nicht blau angelaufen, aber er hat sich schon ein Handtuch um die Schultern geworfen. Ich vernehme auch erste Anzeichen seines Frustes: „It’s *&%$§* cold in here…“
Einige Reisende in unserem Wagen speisen noch üppig, während andere schon die Betten ausklappen lassen. Ich selbst weiß noch nicht, wie ich bei dem endlosen Gerüttel im Zug schlafen soll. Vielleicht sollte ich mir auch ein paar Dosen Bier bestellen wie Justins Mama. „Sonst übersteh‘ ich diese Fahrt nicht lebendig“, scherzt die junge Thailänderin und lädt mich zu einem Schluck Singha-Bier ein. Das Zugpersonal ist immer auf Trab, um die Fahrgäste nach ihren Wünschen zu fragen. Na gut, ich nehme auch ein Gerstensäftchen!

Als ich später kurz auf den stillen Ort muss, stelle ich fest, dass der Zug ungewöhnlich sauber ist. Keine einzige „Blatta orientalis“ ist zu sehen – gemeinhin als Kakerlake bekannt. Die Schweinegrippe machts möglich! Busse, Züge und Flugzeuge werden auf Befehl von ganz oben seit ein paar Tagen mit besonderer Sorgfalt gereinigt. Diese Chemoattacke können nicht einmal die widerstandsfähigsten Schaben überleben. Fein, sie sind auch nicht wirklich meine Freunde… Die Nacht geht schneller vorüber, als ich zu hoffen wagte. Nicht aber die Zugfahrt selbst – zwei oder drei Stunden dürfen Justin, Mister Farangset und ich die thailändischen Staatsbahnen länger genießen, und das ohne Aufpreis! Was so viel heißt wie Verspätung. Ich nehms gelassen, die Landschaft jenseits des Bahndammes ist idyllisch. Reisfelder, Obstplantagen und bewaldete Hügel lösen einander ab. „Da gibt’s sicher Elefanten“, trompetet Justin. Ich nicke und denke wehmütig an die armen Tiere in den Straßen von Bangkok und Pattaya. Die Dickhäuter gehören hierher, in die Urwälder des Nordens oder zumindest in die Obhut meines Freundes Dr. Prasitphon von der Elephant’s World Kanchanaburi.

Um 09.35 Uhr sind wir schließlich in Chiang Mai. Jetzt wird erst mal ordentlich gefrühstückt – Thai-Style natürlich. Zwei Teller gebratenen Reis, Hühnersuppe und hausgemachten Fruchtsaft gönne ich mir. Die Weiterreise dauert zwar „nur“ noch 5 Stunden, aber sicher ist sicher, Reisen macht hungrig. Nach tagelangen Regenfällen sieht das Wetter heute auch wieder besser aus – ich kann die Ankunft am Mekong gar nicht mehr erwarten. Im klimatisierten Bus Nummer 310 von Chiang Mai nach Chiang Saen steht die Zeit förmlich. Mir ist langweilig im Bus und obendrein ist es noch kälter als im Zug. Zwei planmäßige Stopps benütze ich wie die meisten anderen Fahrgäste zum Aufwärmen im Freien. Es ist genau 16.00 Uhr, wir sind am Ziel – Chiang Saen. Meine Reise entlang des großen Flusses kann beginnen.
